Banken behalten Geld, das den Kunden gehört
Die Banken halten Gebühren in Milliardenhöhe zurück. Dieses Geld gehört laut Bundesgericht den Kunden. Das bestätigen alle von saldo angefragten Juristen, denen kein Maulkorb verpasst wurde.
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saldo 16/2006
11.10.2006
Franco Tonozzi
Haben Sie bei der Post oder Ihrer Bank Fondsanteile gekauft? Dann steht Ihnen wahrscheinlich Geld zu, von dem Sie noch gar nichts wissen: die Retrozessionen. Das sind Zuwendungen, die ein Finanzinstitut dafür bekommt, dass es zum Beispiel Fonds anderer Anbieter verkauft. So wie die Post: Der Staatsbetrieb hat bislang Fondsanteile im Wert von 1,7 Milliarden Franken unter die Leute gebracht.
Mediensprecher Marc Andrey erklärt, wie der Vertrieb funktioniert: «Postfinance arbeitet ...
Haben Sie bei der Post oder Ihrer Bank Fondsanteile gekauft? Dann steht Ihnen wahrscheinlich Geld zu, von dem Sie noch gar nichts wissen: die Retrozessionen. Das sind Zuwendungen, die ein Finanzinstitut dafür bekommt, dass es zum Beispiel Fonds anderer Anbieter verkauft. So wie die Post: Der Staatsbetrieb hat bislang Fondsanteile im Wert von 1,7 Milliarden Franken unter die Leute gebracht.
Mediensprecher Marc Andrey erklärt, wie der Vertrieb funktioniert: «Postfinance arbeitet bei den acht Gelben Fonds und den 33 Fonds von Drittanbietern mit der UBS zusammen. Die UBS entrichtet aufgrund vertraglicher Vereinbarungen eine Kommission an Postfinance.» Gut zu wissen, denn genau diese Kommission gehört dem Kunden - und das sogar rückwirkend für die letzten zehn Jahre, plus 5 Prozent Verzugszinsen ab der ersten Mahnung. So hat es das Bundesgericht im letzten März entschieden.
Doch die Post sieht das anders: «Wir bieten unseren Kunden keine Vermögensverwaltungsmandate an», so Andrey. Das Urteil gelte indes nur, wenn ein solcher Vertrag vorliege. So argumentieren auch Banken. Stimmt das?
Retrozessionen können immer eingefordert werden
saldo fragte bei Wirtschafts- und Bankenrechtsprofessoren der Schweizer Universitäten nach und bekam ausweichende oder gar keine Antworten. Die Erklärung: «Viele Professoren sind für Kanzleien tätig, die die Banken vertreten. Deshalb können sie sich nicht frei äussern», sagt ein Professor, der zugibt, dass er selber mit der Finanzindustrie verbandelt ist. «Die Sache ist aber klar: Ein Vermögensverwaltungsvertrag ist nicht nötig, um Retrozessionen einzufordern.» Gute Kunde für alle Kleinanleger, die in Fonds investiert haben.
Deutlich äussert sich auch Rolf Kuhn von Lutz Rechtsanwälte, Zürich. Er hat das folgenreiche Urteil vor Bundesgericht erstritten. «Sämtliche Zuwendungen, die im Zusammenhang mit dem Kauf der Fonds stehen, gehören dem Kunden.» Daran bestehe nicht der geringste Zweifel, sagt auch Daniel Fischer vom Advokaturbüro Fischer & Partner in Bern und Zürich, einer Kanzlei, die vor allem Anleger vertritt. Fischer: «Banken sind verpflichtet, die Interessen ihrer Kunden wahrzunehmen und nicht einfach jene Produkte zu verkaufen, an denen sie am meisten verdienen.»
«Banken haben Treuepflicht gegenüber ihren Kunden»
Damit die Geldinstitute erst gar nicht in Versuchung geraten, ihre Pflichten zu vernachlässigen, müssen sie alle Kommissionen weitergeben. «Nur so wird die Treuepflicht gegenüber dem Kunden erfüllt. Und diese Treuepflicht gilt immer - mit oder ohne Vermögensverwaltungsvertrag», sagt Rechtsanwalt Fischer.
Das dürfen sich auch die Kantonalbanken hinter die Ohren schreiben. Sie beziehen über 100 Finanzprodukte von ihrer eigenen Fondsgesellschaft Swisscanto, die mit 50 Milliarden Franken im Markt vertreten ist. «Ja, Swisscanto bezahlt den Kantonalbanken Kommissionen für verkaufte Fonds», bestätigt Roman Kappeler, Direktionsmitglied der Fondsgesellschaft. Über die Höhe schweigt er sich aus. Zahlt etwa die Zürcher Kantonalbank (ZKB) ihren Kunden dieses Geld aus? ZKB-Mediensprecher Urs Ackermann: «Eine Weiterleitung dieser Kommissionen an Privatanleger ist nicht vorgesehen.» Gleich verfährt auch die UBS, mit über 300 Milliarden die grösste Fondsanbieterin. Mediensprecherin Sabine Wössner: «Was wir an Kommissionen einbehalten, ist eine Entschädigung für den Vertrieb.»
Nur ein bewusster Verzicht ist ein gültiger Verzicht
Noch geben sich die Banken betont gelassen, wenn man sie auf das Bundesgerichtsurteil zu den Retrozessionen anspricht. Doch hinter den Kulissen brodelt es: «Retros sind bei den Banken das Thema Nummer eins», sagt ein hoher Kaderbanker aus Zürich.
«Die Branche hofft, dass das Bundesgericht sein Urteil stark einschränkt. Bis es so weit ist, gilt für die Banken nur eine Devise: Auf Zeit spielen und die Kunden hinhalten.» Wen wunderts? Für die Geldinstitute geht es um einen zweistelligen Milliardenbetrag.
Fazit: Retrozessionen gehören den Kunden. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie viel Geld ihnen die Banken noch vorenthalten. Das kann sogar gelten, wenn Anleger vertraglich auf Kommissionen verzichtet haben. Das Bundesgericht hat sich in diesem Punkt unmissverständlich geäussert: Der Kunde kann zwar auf das Geld verzichten, aber nur, wenn er auf den Franken genau weiss, worauf er verzichtet. An einer Offenlegung führt deshalb kein Weg vorbei. Banken müssen ihre Kunden sogar jedes Jahr aufs Neue über die Höhe der Retrozessionen informieren, sonst ist der Verzicht des Kunden nicht gültig.