Seit Stunden steht mein Mitbewohner in der Küche und zaubert feinste afghanische Gerichte auf den Tisch. Wir haben ein halbes Dutzend Leute zum Abendessen eingeladen. Dann geschieht etwas Seltsames: Nach und nach sagen uns die Gäste ab. An den Kochkünsten meines Mitbewohners liegt es nicht. Am späten Nachmittag nennt endlich jemand den Grund. «Tut mir leid», murmelt ein Bekannter am Telefon, «aber bei Alis Dinner-Party gibt es Gin Tonic.»
Im muslimischen Afghanistan ist Alkohol verboten. Einzige Ausnahme: Ausländer dürfen bei ihrer Einreise zwei Flaschen mitführen. Und da nicht nur Expats trinken, sondern auch der eine oder andere Afghane, wird Alkohol gehandelt wie anderswo Gold. Er hilft bei der Kontaktpflege, ist ein beliebtes Schmiermittel für korrupte Beamte und kann offensichtlich sogar Freunde vom Abendessen fernhalten.
Bevor ich das erste Mal nach Afghanistan reiste, hatte mich mein Übersetzer um fünf Flaschen Gin gebeten. Als ich ihn auf die Einschränkung von zwei Flaschen hinwies, entgegnete er: «Keine Sorge, ich kenne die Zollbeamten.» Kaum war ich in Kabul gelandet, nahm mir ein Beamter aber die Flaschen weg und leerte sie vor uns ins Waschbecken. «Das hättest du wissen können», neckte mich ein Freund, «der Übersetzer hat gar keine Beziehungen.»
Ich packe immer Hochprozentiges ein, wenn ich nach Kabul reise: möglichst viel Alkohol mit möglichst geringem Volumen. Ausserdem bevorzuge ich Fusel statt edle Tropfen. Das ist einer schmerzhaften Erfahrung geschuldet.Damals hatte ich Probleme mit meinem Arbeitsvisum. Der Mann von der Behörde erklärte, er könne mir leider nicht helfen. Ich bettelte und ergab mich schliesslich. Ob ich ihm nicht etwas Schönes aus Europa mitbringen könne. Schokolade vielleicht? Er zögerte. «Lieber etwas, das es in Afghanistan nicht gibt.»
Als ich ihm einige Tage später in seinem Büro meine letzte Flasche übergab, betrachtete er sie neugierig: «Was ist das denn? Wodka?» Nein, es war ein feiner 16-jähriger Single Malt. Seufzend sah ich zu, wie er den über 100 Franken teuren Whisky in seinem Schreibtisch verstaute. Ein billiger Jack-Daniel’s-Whiskey hätte es wohl auch getan.