Auf den ersten Blick scheint der Tipp des Kundenberaters der Raiffeisenbank Therwil BL gut. Die zum Kauf empfohlene Obligation der Bank Julius Bär hat einen Zinscoupon von 4,5 Prozent. Die Laufzeit endet am 23. Dezember 2021. Wo erhält man heute einen solchen Zins?
Wer aber die Bedingungen der Obligation studiert, merkt schnell, dass die 4,5 Prozent Zins bis Ende 2021 zu schön sind, um wahr zu sein. Tatsache ist einzig, dass die Bank Bär die Obligation Ende 2011 ausgegeben hat und bisher mit 4,5 Prozent verzinste. Wohl gibt es die Laufzeit bis 2021. Doch Julius Bär hat die Möglichkeit, die Obligation bereits Ende 2016 vorzeitig zu kündigen und damit das Darlehen zu tilgen. Man muss davon ausgehen, dass die Bank das tun wird. Denn heute kann Fremdgeld günstiger beschafft werden als 2011.
Trotzdem hat der Mitarbeiter der Raiffeisenbank Therwil den Kauf empfohlen. Der Kurs der Anleihe lag zum Zeitpunkt, als er sie empfahl, bei 101,9 Prozent. Die Kundin würde Ende 2016 aber nur 100 Prozent ihrer Anlagesumme zurückerhalten.
Zudem hätte sie der Bank eine Kaufgebühr zahlen müssen, die sogenannte Courtage. Zwar würde sie den Zins ab dem Kauf bis zum 23. Dezember erhalten, müsste diesen aber versteuern. Und vom scheinbar attraktiven Zins über die nächsten fünf Jahre würde sie nichts zu sehen bekommen.
Selbst wenn die Bank Bär die Anleihe wider Erwarten nicht vorzeitig kündigen würde, blieben die 4,5 Prozent Zins Wunschtraum. In diesem Fall sieht der Prospekt der Obligation nämlich die Anpassung des Zinscoupons vor.
Grundlage für dessen Neuberechnung ist der sogenannte 5-Jahres-Swap-Satz für den Schweizer Franken, ein Interbankenkurs im Devisengeschäft. Darauf schlägt die Bank Bär eine Marge von 3,81 Prozent. Da der Swap-Satz aktuell bei minus 0,6 Prozent liegt, stünde der neue Zinscoupon der Obligation bei rund 3,2 Prozent. Das ist immer noch ein guter Zins, aber deutlich weniger als die aktuellen 4,5 Prozent.
Alle diese Informationen hat der Raiffeisenberater in Therwil der Kundin vorenthalten – vermutlich, weil er die Bedingungen der Anleihe nicht studiert oder nicht verstanden hat.
Verstanden – wenn auch spät – hat man den Mechanismus der Julius-Bär-Obligation in der Zentrale der Raiffeisengruppe. Im April 2016 kippte man die Obligation aufgrund einer Neubeurteilung aus der Auswahlliste – einer Liste mit rund 1000 Kaufvorschlägen. Raiffeisen Schweiz verweist aber darauf, dass die einzelnen Raiffeisenbanken autonom entscheiden, welche Produkte sie ihren Kunden anbieten.
Cyrille Groeli, Leiter der Raiffeisenbank Therwil, räumt ein, der Berater habe beim Gespräch mit der Kundin einen Berechnungsfehler gemacht. Der Fehler sei aber festgestellt worden und die Investition unterblieb. Tatsächlich war die Kundin klug genug und hat eine Zweitmeinung eingeholt – bei Alain Lauber aus Bretzwil BL, einem unabhängigen Finanzexperten, der selbst keine Finanzprodukte vermittelt oder verkauft. Lauber hat der Kundin von einem Kauf abgeraten.
Anlegen: Zuerst denken, dann kaufen!
Anlagevorschläge sollten Sie nie überstürzt unterschreiben, sondern immer zuerst überschlafen.
Studieren Sie den Produktbeschrieb (Factsheet) und das Kleingedruckte. Falls Sie den Inhalt nicht verstehen, sollten Sie die Hände von dieser Anlage lassen.
Holen Sie bei Unsicherheiten eine Zweitmeinung bei einer unabhängigen Finanzberatung ein.
Vergessen Sie nicht: Auch kompetente und freundliche Kundenberater sind Verkäufer und arbeiten im Interesse der Bank, bei der sie angestellt sind.