«Ansteckungsgefahr durch Bargeld!» Schlagzeilen wie diese gab es in der Anfangszeit der Corona-Pandemie im März und April zuhauf. Doch Tests zeigten, dass man von Bargeld nicht krank wird. Frank Mosel vom Institut für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums in Essen (D) hält fest: Bei ordnungsgemässem Umgang mit Geld besteht kein Infektionsrisiko. Es sei bis heute auch kein Fall einer Ansteckung bekannt. Selbst die Weltgesundheitsbehörde WHO betont, es gebe keine Belege dafür, dass man sich über Bargeld mit dem Coronavirus anstecken könne.
Jedes Jahr ist in der Schweiz mehr Bargeld im Umlauf
Trotzdem nahmen die Anbieter elektronischer Zahlungssysteme und Banken das Thema dankbar auf und versuchten, für ihre elektronischen Zahlungsmittel publikumswirksam zu werben. Auf dem Internetblog der Migros-Bank etwa ist zu lesen: «Unser Bargeld ist schmutziger, als wir denken.» Und die UBS antwortete auf eine Kundenfrage zum Thema: «Sie können noch bar zahlen, jedoch empfehlen wir dies aktuell nicht.»
Twint, der Betreiber des Schweizer Smartphonezahlungssystems, machte in einer Medienmitteilung keinen Hehl daraus, dass man von der Pandemie profitiert habe. Nach eigenen Angaben ist die Zahl der Twint-Kunden innerhalb eines Jahres um fast 80 Prozent gestiegen. Die Zahl der Transaktionen habe sich verdreifacht.
Zahlen der Schweizerischen Nationalbank zeigen, dass die Bargeldbezüge an Bancomaten nach dem Lockdown etwas zurückgingen, während Zahlungen mit Debitkarten anstiegen. Dies belegt auch eine Auswertung der Uni St. Gallen zum «Zahlungsmitteleinsatz in der Schweiz in Corona-Zeiten». Nach der Wiedereröffnung der Läden im Mai nahm der Bargeldumsatz im Inland an Bancomaten im Vergleich zur Zeit vor dem Lockdown zuerst um durchschnittlich 4,6 Prozent ab. Stand heute beträgt der Rückgang beim Bargeldumsatz aber nur noch 2,1 Prozent, die Steigerung bei den Debitkarten noch 3,2 Prozent. Von einer klaren Verhaltensänderung beim Bezahlen könne man deshalb nicht sprechen, sagt Autor Tobias Trütsch, Zahlungsökonom der Uni St. Gallen. «Die Verschiebung hat mit zahlreichen Faktoren zu tun. Viele Läden baten explizit um Kartenzahlung.» Das verzerre die Zahlen.
Zahlen der Nationalbank zeigen, dass Bargeld immer beliebter wird: Jedes Jahr ist mehr Bargeld im Umlauf. Waren es vor Jahresfrist rund 79 Milliarden Franken, so lag die Gesamtsumme im Juli dieses Jahres bereits bei fast 85 Milliarden Franken. Laut Nationalbank-Sprecher Alain Kouo ist Bargeld keineswegs verdrängt worden. «Insbesondere in Krisen setzt die Bevölkerung auf Bargeld. Denn es ist zuverlässig, verfügbar und nicht von einer technischen Infrastruktur abhängig.» Zudem sei eine bessere Budgetkontrolle möglich.
Ohne Bargeld wären die Konsumenten den Banken ausgeliefert
Das wichtigste Argument zugunsten des Bargelds ist jedoch der Persönlichkeitsschutz. Das sieht auch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Adrian Lobsiger so. In seinem neuesten Jahresbericht empfiehlt er, man sollte «trotz der natürlichen Furcht vor dem Virus» das selbstbestimmte Denken nicht aussetzen. Lobsiger: «Wenn wir aus Bequemlichkeit nur auf elektronische Alternativen setzen, geben wir freiwillig einen Teil unserer Freiheit und Selbstbestimmung auf.» Wer da und dort auch mal bar zahle, unterstreiche den legitimen Anspruch der Bevölkerung auf eine Privatsphäre im alltäglichen Zahlungsverkehr.
Eine Abschaffung des Bargelds würde die Bevölkerung den Banken ausliefern. Auch darauf weist Lobsiger hin: «Die Kunden könnten sich dann, etwa bei hohen Negativzinsen, Zugriffen auf ihre Guthaben nicht mehr entziehen.»
Unbestritten ist auch, dass die beim bargeldlosen Zahlungsverkehr anfallenden Daten dazu benutzt werden, detaillierte Kundenprofile zu erstellen («Saldo» 15/2014). Solche Profile können auch entstehen, wenn Daten aus verschiedenen Quellen kombiniert werden: So wurde 2018 bekannt, dass Google Daten von Mastercard gekauft hatte.
Heike Mai ist Analystin bei der Deutschen Bank und hat schon manches Plädoyer zugunsten des Bargelds verfasst. Sie sagt, Internethändler könnten heute sehr viel mehr über die privaten und finanziellen Gewohnheiten ihrer Kunden erfahren als früher. Problematisch sei dies nicht zuletzt, weil diese Werbung viel gezielter platzieren können. Sie widerspricht auch der Behauptung, die Daten würden nur in anonymisierter Form verwendet: «Forscher konnten 90 Prozent von 1,1 Millionen Kreditkarteninhabern allein anhand ihrer anonymisierten Kartentransaktionen im Zeitraum von drei Monaten korrekt identifizieren.»