Bundesrätin Karin Keller-Sutter verkündete am 11. August vor den Kameras: «Ab heute tragen der Bund und damit die Steuerzahler kein Risiko mehr für die Garantien an die UBS.» Die neue Bank habe den umstrittenen Garantievertrag mit der Schweizer Regierung aufgelöst, der die Steuerzahler maximal 9 Milliarden Franken gekostet hätte.
Was Finanzministerin Keller-Sutter verschwieg: Für die Bundeskasse bestehen noch weit grössere Risiken als diese 9 Milliarden. Auf Geheiss des Bundesrates hatte die Finanzmarktaufsicht (Finma) verfügt, dass die Credit Suisse sogenannte AT1-Anleihen in der Höhe von 16 Milliarden Franken nicht zurückzahlen muss. Damit wurden diese Obligationen für ihre Besitzer wertlos.
Ausserdem legte der Bundesrat den Wert einer CS-Aktie willkürlich bei 76 Rappen fest – an der Börse wäre er am Vortag deutlich höher gewesen. Der Schaden für die Aktionäre beläuft sich auch hier auf mehrere Milliarden Franken.
Tausende von Beschwerden eingereicht
Gegen den Bundesratsentscheid sind drei Klagen von Aktionärsvertretern am Handelsgericht in Zürich hängig. Und beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen sind 320 Beschwerden von 3000 Obligationären eingegangen. Diese verlangen die Aufhebung der Finma-Verfügung, was für alle Besitzer von AT1-Anleihen von Bedeutung wäre.
Unter den Beschwerdeführern ist auch die Pensionskasse der Migros. Die international tätige Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan vertritt nach eigenen Angaben rund 1000 Obligationäre. Diese halten mit 5,5 bis 6 Milliarden Franken etwa einen Drittel des gesamten Nominalwertes der AT1-Papiere der CS. Zahlreiche weitere Kanzleien aus dem Ausland haben ebenfalls Beschwerden eingereicht.
Die Anwaltskanzlei Lindemannlaw in Zürich vertritt insgesamt
17 Geschädigte. In ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Finma und die UBS begründet die Kanzlei, weshalb die AT1-Anleihen nicht hätten abgeschrieben werden dürfen. Die von der Credit Suisse ausgegebenen AT1-Wertschriften hätten gemäss Vertrag nur im Falle eines existenzbedrohlichen Ereignisses («viability event») auf null abgeschrieben werden dürfen. «Dieser Fall trat jedoch nie ein», sagt Anwalt Lionel Serex. «Die CS hat die Kapital- und Liquiditätsanforderungen selbst auf dem Höhepunkt der Krise kontinuierlich eingehalten.»
Auch Karin Keller-Sutter und die Finma hatten bei der Rettungsaktion im März betont, die CS sei nicht unterkapitalisiert. Die Kernkapitalquote der Bank fiel auch im kritischsten Moment nie unter das gesetzliche Minimum.
Serex stellt zudem die Zweck- und Verhältnismässigkeit des Finma-Entscheides infrage: «Die Abschreibung der AT1-Anleihen trug nicht dazu bei, die Liquiditätssituation der CS zu verbessern oder ihren Niedergang zu verhindern.» Im Gegenteil: Nach dem Abschreiber auf null kletterte die Kernkapitalquote sogar auf über 20 Prozent.
Es war also genügend Eigenkapital vorhanden – die CS hatte lediglich ein Liquiditätsproblem. Dieses hätte die Nationalbank jederzeit lösen können. Profitiert vom Abschreiber hat hingegen die UBS: In einem Bericht an die amerikanische Börsenaufsicht beziffert sie den möglichen Gewinn aus der Transaktion mit der CS auf 34,8 Milliarden Dollar.
Sollte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden gutheissen, müssten die AT1-Anleihen zurückgezahlt werden. Die Schuldpapiere sind heute in den Büchern der UBS. Deren Fremdkapital würde sich um 16 Milliarden Franken erhöhen. Für Wirtschaftsprofessor Peter V. Kunz von der Uni Bern ist klar, dass die UBS in diesem Fall vom Bund verlangen würde, «dass er sich an den Zahlungen beteiligt». Schliesslich habe der Bundesrat diese Mehrkosten verantwortet.
Auch an Gerichten im Ausland sind Klagen in Sicht
Mit dem CS-Ende werden sich auch Gerichte im Ausland beschäftigen müssen. Laut «Financial Times» erwägen rund 80 Anleger in Singapur eine Klage gegen den Beschluss der Finma-Verfügung. Das ist möglich, weil der asiatische Stadtstaat mit der Schweiz ein Investitionsschutzabkommen abgeschlossen hat. Dabei handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen zwei Staaten, die den Investoren einen bestimmten Schutz ihrer Anlagen im jeweils anderen Staat zusichern.
Auch ein Gerichtspräsident klagt für geprellte Anleger
Viele ehemalige CS-Aktionäre sind nicht bereit, auf dem Schaden sitzen zu bleiben, den ihnen der Bundesrat mit der Festsetzung des Börsenkurses für CS-Aktien verursacht hat. Die drei Organisationen Schweizerischer Anlegerschutzverein, die Contract Vault GmbH und die LegalPass AG reichten am Zürcher Handelsgericht für 12'000 Aktionäre Klage ein. Die meisten von ihnen wohnen in der Schweiz. Im Fokus steht Artikel 105 des Fusionsgesetzes. Demnach können Aktionäre von einem Gericht überprüfen lassen, ob bei einer Fusion das Umtauschverhältnis der Aktien angemessen ist.
Perica Grasarevic ist Kleinaktionär und Gerichtspräsident am Zivilgericht Basel-Landschaft. «Bei Notrecht.com, der Internetseite der Contract Vault GmbH, haben sich rund 8000 Personen gemeldet», sagt Grasarevic. Das Gesetz lasse keine Sammelklagen zu, deshalb habe er die Klage in eigenem Namen eingereicht.
«Ein Urteil ist aber allgemeinverbindlich. Daher würden auch alle anderen CS-Aktionäre von einem positiven Ausgang profitieren – egal, ob sie sich uns angeschlossen haben oder nicht.» Sollte die UBS aussergerichtliche Vergleichsgespräche führen, werde Notrecht.com dies kommunizieren. «So könnte sich jeder interessierte CS-Aktionär kurzfristig einem solchen Vergleich anschliessen.» In seinem Rechtsbegehren fordert Grasarevic eine angemessene Zahlung für die CS-Aktien, mindestens Fr. 1.10 pro Aktie. «Zudem verlange ich ein gerichtliches Gutachten zum Wert von CS und UBS und zum angemessenen Umtauschverhältnis.»
Der Anlegerschutzverein vertritt rund 1000 Aktionäre. Sprecher Arik Röschke kritisiert den CS-Deal: «Die Verhandlungen zwischen UBS und Bundesrat hatten den Charakter eines Kuhhandels, bei dem der Kaufpreis willkürlich festgelegt wurde. Die Aktionäre hatten dazu nichts zu sagen.» Zuerst habe die UBS pauschal eine Milliarde Franken geboten, dann drei Milliarden.
«Dem stand wohlgemerkt ein Eigenkapital der CS von 54 Milliarden Franken per Ende März 2023 gegenüber.» Die CS sei eine der bestkapitalisierten Banken der Welt gewesen. «Das Umtauschverhältnis wurde ohne jegliches Bewertungsgutachten willkürlich bestimmt.» Daher verlange der Anlegerschutzverein eine gerichtliche Überprüfung und eine Anpassung des Übernahmepreises an den fairen Wert der CS.
Die LegalPass vertritt 3000 Aktionäre und verlangt laut Alexandre Osti mit seiner Klage am Handelsgericht ebenfalls eine Überprüfung des Umtauschverhältnisses und eine angemessene Entschädigung der Aktionäre.