Die Schweiz ist nicht bekannt für grosse Goldvorkommen. Und trotzdem liegt das Edelmetall vielerorts im Boden. Gletscher und Flüsse transportieren das Gold seit Millionen von Jahren aus dem Napf, dem Wallis und der Region Disentis ins Tal und verteilen es im Mittelland. Die Frage ist nur, wie man es fördert.
Marcel Siegenthaler hat die Antwort. Er gewinnt das Gold, wenn es sowieso aus dem Boden geholt wird: beim Kiesabbau. Mit einem eigens entwickelten Apparat sammelt er in Kieswerken den Sand, der beim Waschen des Kieses ausgeschwemmt wird. Die Sandmenge muss er in mehreren Arbeitsschritten verringern, bis er die einzelnen Goldplättchen im Gesteinsstaub glitzern sieht und sie abschöpfen kann. Pro Gramm Gold benötigt er ein bis zwei Stunden.
Die Arbeit ist kräftezehrend. Siegenthaler muss die bis zu 50 Kilo schweren Matten voller Sand von Hand aus ihrer Vorrichtung im schmutzigen Kieswerk ziehen und für die weiteren Arbeitsschritte nach Hause bringen. «Meine Familie und ich könnten vom Goldabbau leben», sagt Siegenthaler, «aber die Arbeit ist zu hart.» Deshalb arbeitet er nur zur Hälfte fürs Gold, in der anderen Hälfte seiner Zeit betreibt er ein Gartenbaugeschäft.
Die Apparatur für das Kieswerk entwickelte ein befreundeter deutscher Bergbauingenieur. Siegenthaler durfte sie nachbauen und an die Verhältnisse in Schweizer Werken anpassen. Er knüpfte Kontakte zu Kieswerken und konnte die Vorrichtung bei mehreren installieren. Die Werke entschädigt er mit Gold, Geld oder Leistungen. Siegenthaler sagt: «Die ersten Jahre erzielten wir keinen Gewinn. Seit etwa drei Jahren lohnt sich die Arbeit dank unseren tiefen Kosten.»
Das Goldfieber packte den Berner vor 30 Jahren in Neuseeland, am goldhaltigsten Fluss der Welt. Zurück in der Schweiz, begann er in Disentis und im Napfgebiet Gold zu waschen. Erfahrungen sammelte er auch an weiteren Flüssen in Europa, in Kalifornien, Kanada, Alaska und Neuseeland, wo er mit seiner Frau Lisabeth und den zwei Söhnen gern die Ferien verbringt, wenn es die Finanzen erlauben.
Lisabeth Siegenthaler ist bei Marcels Firma Goldgrün & Swissgolder zuständig für Finanzen und Marketing. Sie sagt: «Marcel hat alles studiert, was ihm in Sachen Gold in die Hände gekommen ist, und er kann einen Fluss lesen. Das ist die grosse Kunst.» Heute gibt er sein Wissen in Goldwaschkursen für Private und Firmen weiter.
Das Gold verkauft das Ehepaar Siegenthaler an Goldschmiede, die sich auf das Verarbeiten von Naturgold spezialisiert haben. In ihrem Shop auf Swissgolder.ch bieten Siegenthalers das Edelmetall Liebhabern von Naturgold an – als Nuggets, Flitter, Barren und zu Anhängern verarbeitet.
Marcel Siegenthaler sagt: «Naturgold ist weicher und hat eine intensivere Farbe als industriell gewonnenes und aufbereitetes Gold.» Lisabeth ergänzt: «Unser Naturgold ist das ökologischste und ethischste Gold. Es wird im Unterschied zu Industriegold nicht mit hochgiftigem Quecksilber gebunden, um es leichter abzusieben. An unserem Gold klebt höchstens das Blut von Marcel, wenn er wieder einmal einen Finger eingeklemmt hat.»
Pro Jahr fördern Marcel Siegenthaler und sein Mitarbeiter etwa 1,5 bis 2 Kilo Gold. Das Gramm verkaufen sie ab 90 Franken, je nach Grösse und Reinheit. Für ungewöhnlich grosse Nuggets können sie bis zu 500 Franken pro Gramm verlangen.
Marcel Siegenthaler zahlt sich pro Monat 4400 Franken Lohn aus für seinen 100-Prozent-Job im Garten- und im Goldgeschäft, Lisabeth für ihre 30-Prozent-Tätigkeit rund 1600 Franken. Ende Jahr bleibt im besten Fall ein halbes Kilo Gold übrig für unvorhergesehene Ausgaben und für die Altersvorsorge.
Lisabeth Siegenthaler sagt: «Das Gold macht uns nicht reich. Wir kennen das Januarloch nicht nur vom Hörensagen.» Es gehe ihnen aber nicht um Profitmaximierung: «Ethik, Respekt und Glaubwürdigkeit sind uns wichtiger.» Und Marcel fügt stolz an: «Wir sind die Einzigen, die von Schweizer Naturgold leben können.»