Mathias Hubacher sagt über seinen Schritt in die Selbständigkeit: «Für mich wäre das Schlimmste, es nicht versucht zu haben.» Im Juni kündigte er seinen gut bezahlten Job als Coach für Fach- und Führungskräfte bei den Berner Kraftwerken (BKW). Seither arbeitet er daran, seinen Traum zu realisieren: eine Pflegestation für verletzte und kranke Greifvögel.
Bereits mit zwölf Jahren wusste Hubacher, dass er später mit Rotmilanen, Turmfalken, Mäusebussarden und anderen Greifvögeln würde arbeiten wollen. Trotzdem schlug er eine klassische Laufbahn ein. Er studierte berufsbegleitend Betriebswirtschaft und erklomm bei den BKW die Karriereleiter. Immerhin: Seine Masterarbeit trug den Titel «Einstieg in ein Coaching mit tiergestützter Reflexion».
Spricht Mathias Hubacher über seine Pflegestation, den Greifenhof in Walkringen BE, hört man den Ökonomen in ihm. Er hat sein Projekt klar strukturiert, spricht von Meilensteinen, Risiken und Diversifikation. Die ersten beiden Meilensteine hat er geschafft: Er erhielt die Bewilligung für den Bau von Volieren in der Landwirtschaftszone, und die Bauarbeiten haben begonnen. Das Risiko für sein Projekt sieht er in der nachhaltigen Finanzierung der Pflegestation. «Das ist die grösste Herausforderung», sagt er. Unter Diversifikation versteht er die Verteilung des Risikos auf mehrere Pfeiler.
Der Greifenhof soll nicht nur Pflegestation mit Platz für zehn bis zwanzig Greifvögel sein, sondern auch bei Kleingruppen und Interessierten zur Umweltbildung beitragen. Für den Fall, dass die Finanzierung durch Spenden und Partnerschaften nicht gesichert werden kann, will der ausgebildete Falkner ein vogelgestütztes Coaching für Führungskräfte anbieten. «Ein Tier reagiert sehr direkt auf die Gefühlslage von Menschen», sagt Hubacher. «Dieses ehrliche Feedback kann man beispielsweise nutzen, um das eigene Verhalten und die eigene Wirkung zu überdenken oder um Ängste abzubauen.»
In Hubachers Fokus steht jetzt aber die Pflegestation und vor allem deren Finanzierung. Im kommenden Frühling soll sie den Betrieb aufnehmen – mit einem Betriebsbudget von insgesamt 150'000 Franken für seinen Lohn, die Löhne von zwei Mitarbeitern mit 40-Prozent-Pensen sowie für Futter, Pflegematerial und Infrastruktur. Für den Bau der neuen Pflegestation sind 70'000 Franken bereits vorhanden, dank Spendern wie dem Lions Club, der Burgergemeinde Bern, einer Zahlung aus dem Lotteriefonds und Privatpesonen, die direkt über die Internetseite Greifenhof.ch spenden können.
Mathias Hubacher schweben zusätzlich eine oder mehrere mehrjährige Partnerschaften mit Institutionen vor, beispielsweise mit einem Energieversorger, dessen Stromleitungen und Windräder für viele verletzte Vögel sorgen, oder mit Firmen, denen Nachhaltigkeit und Biodiversität wichtig sind. Hubacher sagt: «Wir sind in Gesprächen, haben aber noch keinen verbindlichen Partner für einen gesicherten Betrieb. Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen.»
Falls es nicht klappt, würde Hubacher den Bau der Volieren redimensionieren und allenfalls privates Vermögen einschiessen. «Es ist mir bewusst, dass ich ein Risiko eingehe», sagt er. «Aber etwas Gutes zu tun, steht über dem finanziellen Aspekt. Der Greifenhof ist mein Herzensprojekt.» Bis spätestens Ende Februar des nächsten Jahres muss die Finanzierung gesichert sein. Andernfalls sucht Hubacher vielleicht eine Teilzeitanstellung und baut den Greifenhof nebenbei und langsamer auf.
Seinen Lohn als Betriebsleiter mit Vollzeitpensum hat Hubacher mit 60'000 bis 80'000 Franken budgetiert. Das ist deutlich weniger, als er bei den BKW verdiente. Er sagt: «Geld ist Geld, und Wert ist Wert. Wenn ich mit Geld Wert schaffen kann, ist das gut, und ich bin bereit, auf Lohn zu verzichten.»