Der Auslandschweizer Reinhold Steiner lebte im Jahr 1975 in Washington, D. C. (USA). Bei einem Aufenthalt in der Schweiz entschied er sich, für seine damals 9-jährige Tochter Alexandra ein Jugend-Prämien-Sparheft bei der Migros-Bank zu eröffnen. Die Einlage betrug Fr. 3023.20. Steiner hinterlegte das Sparheft bei der Migros-Bank in Zürich, da er sich auch in den folgenden Jahren berufsbedingt hauptsächlich im Ausland aufhalten wollte. Als Quittung übergab ihm die Bank einen Depotschein. Darauf vermerkte sie die Einlage und bestätigte, das Sparheft «kostenlos aufzubewahren». Den Depotschein vertraute Steiner seiner in der Schweiz lebenden Schwester an. Seine Tochter Alexandra sowie seine Ex-Frau informierte er nicht über das Sparheft.
Depotschein und Sparheft gerieten im Laufe der Zeit in Vergessenheit. Der Depotschein tauchte erst wieder auf, als Steiners Schwester 2017 ins Altersheim umzog und dort ihre Papiere sortierte. Steiner war kurz zuvor in die Schweiz zurückgekehrt. Er wandte sich damit Anfang 2019 an die Migros-Bank, um das Sparheft zu saldieren und das Geld abzuheben. Er wollte seine inzwischen verheiratete und in den USA lebende Tochter Alexandra bei ihrem nächsten Besuch in der Schweiz mit dem Sparbatzen und den aufgelaufenen Zinsen überraschen.
Doch die Migros-Bank beschied ihm: «Wir haben eine Aufbewahrungspflicht von Kundeninformationen von 10 Jahren. Da die Ausstellung des Depotscheins weiter zurückliegt, besteht keine Dokumentation mehr dazu.»
Steiner wollte sich nicht einfach abwimmeln lassen. Es war für ihn unverständlich, dass Banken im Rahmen der Holocaust-Entschädigungen kaum dokumentierte Guthaben aus den 1930er- und 1940er-Jahren aufspüren konnten, aber zu einem in der Bank selbst aufbewahrten Sparheft aus dem Jahr 1975 keine Dokumentation mehr vorhanden sein sollte. Steiner gelangte deshalb an K-Geld und bat um Unterstützung.
Sparheft wurde 2016 wegen «aufgelaufener Gebühren» aufgelöst
K-Geld wurde Ende April 2019 bei der Migros-Bank vorstellig. Dann kam vordergründig Bewegung in die Sache. Die Bank versprach, nachzuforschen. Doch wenn immer Steiner nachfragte, vertröstete ihn die Bank. Als Anfang 2020 immer noch keine Resultate vorlagen, schaltete sich K-Geld erneut ein.
Wieder liess die Bank viel Zeit verstreichen. Ende April 2020 – also ein Jahr nach der ersten Intervention von K-Geld – lieferte die Migros-Bank endlich die Ergebnisse ihrer Untersuchungen. Demnach könne sie den Sachverhalt in der Zeit von 1975 bis 1994 nicht mehr rekonstruieren. Sie behauptet aber, dass dem Kunden 1994 «mit einigermassen hoher Wahrscheinlichkeit» ein Auszug mit einem Saldo von Fr. 139.40 zugeschickt worden sei. Da innert Frist kein Gegenbescheid erfolgte, habe dieser Saldo für die Bank «grundsätzlich als genehmigt» gegolten. Später sei keine Postzustellung mehr möglich gewesen.
Per 2006 wandelte die Migros-Bank alle physisch deponierten Sparhefte in Konten um. 2016 löste die Bank Alexandra Steiners Konto wegen «aufgelaufener Gebühren» auf. Das heisst: Möglicherweise hat die Bank das Sparheft zu sogenannt kontaktlosem Vermögen erklärt – die Gebühren frassen das restliche Guthaben auf (siehe Kasten).
Die Migros-Bank stellt sich auf den Standpunkt, dass von Seiten des Kunden «kein vermögensrechtlicher Anspruch» mehr bestehe. Sie sei aber bereit, Alexandra Steiner «aus Kulanzgründen» einen Betrag von 2000 Franken zu zahlen.
Reinhold Steiner akzeptierte dieses Angebot im Namen seiner Tochter zähneknirschend. Er findet es «schäbig». Erwartet hatte er von der Migros-Bank die ursprüngliche Einlage plus einen bescheidenen Zins von 1 Prozent, also ungefähr 4700 Franken. Das Vertrauen in die Migros-Bank hat er jedenfalls verloren.
Gebühren fressen kontaktlose Vermögen auf
Seit dem Jahr 2015 geben Bankengesetz und -verordnung vor, wie Banken mit Sparheften, Konten oder Schliessfächern umgehen müssen, bei denen der Kontakt zu den Inhabern abgebrochen ist.
Kann eine Bank einen Kunden weder per Post noch per Telefon erreichen, erhält das betroffene Vermögen für zehn Jahre den Vermerk «kontaktlos». Falls sich in dieser Zeit niemand meldet, gilt das Vermögen für weitere 50 Jahre als nachrichtenlos.
Sobald Vermögenswerte ab 500 Franken kontaktlos werden, müssen Banken die Kundendaten an eine zentrale Datenbank melden. Auf sie kann nur der Bankenombudsmann zugreifen. Wer glaubt, Anspruch auf kontaktlose Gelder zu haben, kann sich an den Ombudsmann wenden und eine kostenpflichtige Suche durchführen lassen (über Bankingombudsman.ch oder Telefon 043 266 14 14).
Sind insgesamt 60 Jahre vergangen, müssen Banken Vermögen ab 500 Franken auf der Website Dormantaccounts.ch publizieren. Meldet sich dann innerhalb eines Jahres immer noch kein Anspruchsberechtigter, geht das Geld an die Bundeskasse.
Viele Vermögenswerte dürften es aber gar nicht bis zur Publikation schaffen. Denn die Banken haben für kontakt- und nachrichtenlose Gelder überrissene Pauschalgebühren eingeführt, welche die Vermögen aufzehren. Die Migros-Bank zum Beispiel verlangt jedes Jahr 500 Franken – ohne eine Gegenleistung. Andere Banken fordern 100 bis 300 Franken pro Jahr («K-Tipp» 16/2017). Nach Meinung von Thomas Probst, Professor für Privatrecht an der Universität Freiburg, sind so hohe jährliche Pauschalgebühren «unzulässig», sofern die Bank nicht entsprechende Nachforschungskosten nachweisen könne.