Die 24-jährige Andrea B. aus dem Raum Bern hat eine schwere Sprach- und Lernbehinderung. Deshalb erhält sie eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Ihre Mutter sagt, die Tochter sei geistig auf dem Stand einer Erstklässlerin stehengeblieben, und sie kenne den Wert des Geldes nicht.
Im März 2014 eröffnete die Mutter für ihre Tochter ein Konto bei der Raiffeisenbank Kiesental in Konolfingen BE und speiste dieses mit 7500 Franken. Das Konto lautete auf den Namen von Andrea. Am Schalter gab die Mutter – in Anwesenheit der Tochter – die Anweisung, Andrea dürfe pro Monat nicht mehr als 200 Franken abheben. Sie unterstrich ihren Wunsch mit einer Ernennungsurkunde von 2010. Darin war sie von der Vormundschaftsbehörde als Beiständin ihrer Tochter eingesetzt worden.
Mit dieser Anweisung glaubte sich die Mutter auf der sicheren Seite. Denn genau dieses Vorgehen hatte sie auch bei einem Konto bei der Spar- und Leihkasse Münsingen BE gewählt – mit Erfolg.
Doch bei der Raiffeisenbank klappte die Bezugslimite nicht. Innerhalb von vier Monaten konnte die Tochter 5100 Franken abheben. Die letzten Bezüge gelangen ihr sogar, indem sie nur ihre Identitätskarte vorwies. Denn die Mutter hatte inzwischen von den vielen Bezügen erfahren und der Tochter die Bankkarte weggenommen.
Die Mutter ist von Raiffeisen enttäuscht: «Ich habe einen klaren Auftrag erteilt. Den hat die Bank missachtet. Dass ich dafür keine Entschädigung erhalte, ist schäbig.»
Rein rechtlich betrachtet ist der Bank allerdings kein Vorwurf zu machen. Denn erstens lautete das Konto auf den Namen der Tochter. Und zweitens war die Mutter gemäss altem Recht zwar als Beiständin eingesetzt – aber die Handlungsfähigkeit der Tochter im Verkehr mit der Bank war dadurch nicht tangiert.
Deshalb schrieb die Raiffeisenbank Kiesental der Mutter: «Die nach altem Recht errichtete Beistandschaft hatte keinen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit der Tochter.» Darauf habe man sie bei der Kontoeröffnung hingewiesen und erwähnt, die gewünschte Bezugslimite sei «keine absolute Sperre». Die Tochter konnte die Sperre also selber wieder aufheben.
Nach neuem Recht hätte die Bank keine Ausreden mehr
Nach neuem Recht gäbe es für die Bank keine Ausreden mehr. Anfang 2015 hat die Mutter eine neue Ernennungsurkunde erhalten. Darin steht, die Handlungsfähigkeit der Tochter sei bei den folgenden Rechtsgeschäften eingeschränkt:
- Abschluss von Kaufverträgen über 200 Franken;
- Abschluss von Verträgen mit wiederkehrenden Kosten;
- Geldbezug im Umfang von über 200 Franken monatlich.
«Die Bank würde dies selbstverständlich berücksichtigen und auch die entsprechenden Einschränkungen umsetzen», heisst es nun bei der Raiffeisenbank.
Christoph Häfeli aus Niederrohrdorf AG ist pensionierter Professor und Experte für das neue Erwachsenenschutzrecht. Er bestätigt, dass die altrechtlichen Vormundschaftsbestimmungen bei Bank-Bezugslimiten oft nicht funktionierten. Er lobt die neue Regelung bei Andrea B. als «mustergültig».
Tipp für Eltern von Kindern, die nicht mit Geld umgehen können: Zahlen Sie keine hohen Summen auf ein Konto, das auf den Namen des Kindes lautet. Richten Sie einen Dauerauftrag ab Ihrem Konto so ein, dass regelmässig nur kleine Beträge aufs Konto des Kindes gelangen.