Bankgeschäfte und der Wertschriftenhandel wurden seit Beginn des 21. Jahrhunderts weitgehend digitalisiert: Heute erledigen viele Leute Zahlungen per E-Banking, kaufen und verkaufen Aktien über reine Internethändler wie Swissquote. Die Wertschriftendepots bei der Hausbank sind online per Browser einsehbar.
Seit einiger Zeit offerieren junge Unternehmen, die nicht an der Börse kotiert sind, Anlegern sogenannte tokenisierte Aktien, so etwa die Handy-Bank Neon oder der Hofladen Farmy. Die Startups behaupten oft, der Kauf solcher Aktien laufe über eine «Börse». Und sie streichen heraus, dass sie besonders modern sind, weil sie auf diese neue Form der Firmenbeteiligung setzen.
Das Aktiendepot ist in der Blockchain gespeichert
Bei tokenisierten Aktien handelt es sich um einen digitalen Wert: Das sogenannte Anlage-Token bildet den Besitz und die Rechte an einem zugrunde liegenden Wert wie zum Beispiel einer Aktie ab. Anleger können statt einer Aktie also ein Anlage-Token kaufen. Wesentlicher Unterschied zu einem Wertpapier wie einer Aktie im Wertschriftendepot einer Bank: Die Token werden auf einer sogenannten Blockchain gehalten und gehandelt.
Die Blockchain ist eine von unzähligen Computern verwaltete digitale Datenbank. Diese Datenbank speichert die Informationen in Blöcken ab, die miteinander verknüpft sind. So entsteht eine chronologische Kette von Transaktionen, quasi eine Kette von Blöcken – auf Englisch die Blockchain. Die Kette ist so programmiert, dass die gespeicherten Transaktionen eindeutig, unveränderlich, transparent und fälschungssicher sind.
Das klassische Wertschriftendepot verschwindet also nicht. Es liegt nun auf der Blockchain und lässt sich mit einer «Wallet»-Software auf dem Handy, dem PC oder dem Laptop jederzeit ansehen und verwalten.
SDX ist die einzige regulierte digitale Schweizer Börse
Mathias Studach ist Mitgründer und Geschäftsleitungsmitglied bei Six Digital Exchange (SDX), einer Tochter der Schweizer Börsenbetreiberin Six. Er sagt: «Das Internet hat den Datentransfer und die Datenspeicherung revolutioniert.» Doch bisher habe es keine sichere Methode gegeben, um Werte wie Aktien zu speichern oder zu transferieren. Blockchain-Applikationen hätten das Potenzial, diese Lücke zu füllen.
Darum startete die Six im Jahr 2018 mit SDX. SDX ist die einzige in der Schweiz vollständig von der Finanzmarktaufsicht (Finma) zugelassene Börse, bei der tokenisierte Aktien und Anleihen gehandelt werden können. Die Kunden von SDX sind nicht Privatpersonen, sondern Banken wie die UBS, grosse Kantonalbanken und auch kleinere Institute wie die Hypothekarbank Lenzburg. Diese Banken teilen sich die Blockchain von SDX und bieten ihren Kunden die Möglichkeit, bei SDX gelistete tokenisierte Aktien und Anleihen in Franken und Euro sowie in Zukunft auch in weiteren Währungen zu handeln. Privatpersonen können nicht direkt Kunden von SDX werden.
Momentan sind drei digitale Anleihen mit einer Marktkapitalisierung von rund 600 Millionen Schweizer Franken bei SDX kotiert und zum Handel zugelassen: «0.125 SIX 26», «2.33 UBS 25» und eine Anleihe der Stadt Lugano: «1.625 Lugano 29».
SDX ist aber nicht nur eine regulierte Börse, sondern auch eine Zentralverwahrerin. «Dort spielt die Musik», sagt Studach. Denn in diesem Punkt ermögliche die Blockchain-Technologie erhebliche Effizienzgewinne: Kommt es zum Beispiel zwischen einem Kunden der UBS und einem Kunden der Zürcher Kantonalbank zu einem Handelsabschluss, fliesst die Abwicklung auf der Blockchain direkt von einer Bank zur anderen.
In der traditionellen Börsenwelt geht diese Transaktion zuerst zu Six. Dann braucht es die zentrale Gegenpartei, die Six x-Clear. Diese funktioniert sozusagen als Versicherungsgesellschaft, die schaut, dass geliefert wird. Erst zwei Tage nach Handelsschluss werden die Aktien und das Geld schliesslich ausgeliefert. Bei SDX findet das alles ohne Umwege direkt in Echtzeit statt.
«Eine Aktie bleibt aber eine Aktie», sagt Studach. Es gebe bloss unterschiedliche Rechtsformen. Das Wertpapier sei eine physische Aktie. Dann gebe es das Wertrecht, das sei die elektronische Aktie. Und schliesslich existiere noch das Registerwertrecht, das die blockchainbasierten, tokenisierten Aktien abdecke.
Alle drei Formen sind Aktien und haben keinen Einfluss auf die vermögensrechtlichen Ansprüche. Sofern die Aktien bei einer Bank hinterlegt sind, fallen sie bei einem Konkurs der entsprechenden Bank nicht in die Konkursmasse – unabhängig von der Form, in der sie ausgegeben worden sind. Sie werden ausgesondert.
Andere Handelsplattformen sind für Anleger riskant
Unternehmen können ihre Aktien nicht nur über SDX, sondern auch mit Hilfe einer Handvoll weiterer Anbieter in der Schweiz als tokenisierte Aktien anbieten – zum Beispiel über die Mt Pelerin Gruppe, die Aktionariat AG oder die Daura AG. Diese Anbieter sind keine regulierten Börsen und unterliegen im Vergleich zu SDX weniger strengen regulatorischen Anforderungen. Unternehmen, die ihre Aktien über sie tokenisieren, müssen sich nicht den strengen Sorgfaltsprüfungen unterziehen, wie wenn sie ihre Aktien bei SDX tokenisieren würden.
Im Gegensatz zu SDX kann man bei solchen Anbietern direkt Kunde werden. Das bringt jedoch zusätzliche Risiken mit sich. So ist beispielsweise der Kunde für die Verwaltung seines privaten Sicherheitsschlüssel im eigenen Wallet verantwortlich. Der Verlust des privaten Sicherheitsschlüssels kann im schlimmsten Fall zu einem Totalverlust der Aktien führen. Das wäre als Bankkunde beim Handel über SDX nicht möglich.
Hinzu kommt: Kauft man bei solchen Anbietern tokenisierte Aktien, muss man sich bewusst sein, dass sich diese bei SDX aktuell nicht handeln lassen. Ein Kauf von tokenisierten Aktien über solche Anbieter ist also nichts anderes als eine Privatplatzierung mit den entsprechenden Risiken.
Auf diesen Plattformen findet man tokenisierte Aktien
- Sdx.com/bond-explorer: Die bei Six Digital Exchange (SDX) gelisteten digitalen Anleihen sind mit dem «Digital Bonds Explorer» ersichtlich.
- Sygnum.com: Das wohl bekannteste Schweizer Unternehmen, das Wertpapiere tokenisierte, ist die Neon Switzerland AG, die zusammen mit der Hypothekarbank Lenzburg die Neon-Handy-App entwickelte. Ihre Partizipationsscheine digitalisierte die Sygnum Bank.
- Aktionariat.com: Die Aktionariat AG tokenisierte neben Aktien diverser unbekannter Firmen auch die Aktien des Internethofladens Farmy, der Crowdfunding-Plattform Wemakeit oder des Eishockeyklubs EHC Kloten.
- Daura.ch: Die Daura AG zählt zu ihren Kunden die Brauerei Oerlikon, den Eishockeyklub HC Ambri-Piotta und das Recycling-Unternehmen Mr. Green AG.
- Mtpelerin.com: Über die Mt Pelerin Group hat unter anderem das Softwareunternehmen Medignition AG seine Aktien tokenisiert.