Bei mir in der Küche in Tunis stapeln sich nicht nur im Sommer die Wasservorräte – sechs Zweiliterflaschen pro Packung. Mich plagt immer wieder ein schlechtes Gewissen, denn es sind Einwegflaschen aus Plastik. Glasflaschen für Einzelkunden gibt es in Tunesien nicht, Abfalltrennung auch nicht, zumindest nicht offiziell.
Leitungswasser zu trinken, ist keine Option. Denn dessen Qualität ist miserabel. Die Belastung durch Schadstoffe und Bakterien ist hoch. Deshalb bin ich bei weitem nicht die einzige, die Flaschenwasser trinkt: Beim Mineralwasserkonsum pro Person liegt Tunesien weltweit auf Platz vier.
In den vergangenen 20 Jahren kamen in Tunesien viele neue Mineralwassermarken auf den Markt. So hat sich um die Plastikflaschen eine ganze Infrastruktur entwickelt. Viele sogenannte Barbechas oder Abfallsammler spezialisieren sich auf die leeren Flaschen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 sollen im ganzen Land rund 15000 Barbechas von den Abfällen leben, Tendenz steigend. Mit grossen Säcken bepackt, ziehen sie – ob bei Platzregen oder bei 40 Grad Celsius im Schatten – durch die Strassen, heben Flaschen auf oder durchwühlen Abfallkübel.
Meistens kommen die gleichen Leute vorbei, sie haben ihre Stammquartiere. Am späteren Nachmittag sehe ich häufig einen hageren Mann mit sonnenverbranntem Gesicht und Schirmmütze, nennen wir ihn Samir. Mit Mühe schiebt er eine Karrette heran. Darauf stapeln sich, höher als Samir selbst, gleich mehrere grosse Säcke mit flachgedrückten Plastikflaschen. Das ist eine ziemlich wacklige Angele-genheit, denn seine Ladung ist voluminös und gleichzeitig relativ leicht.
Wie viel Kilo Plastik er am Tag sammelt, sei ein bisschen Glückssache, erzählt Samir. An guten Tagen sind es mehrere Dutzend, an anderen viel weniger. Wenn ich ihn sehe, bringe ich ihm die gesammelten Flaschen der vergangenen Tage vorbei. Sonst mache ich es wie meine Nachbarn und hänge sie aussen an den Abfallkübel. So müssen Samir und die anderen Abfallsammler nicht die grossen Container durchwühlen, um an die Flaschen zu kommen.
Samir verkauft die gesammelten Flaschen an ein Recyclingunternehmen weiter, das sie schreddert und weiterverarbeitet. Mal verdient er damit am Tag 2 Franken, mal sind es 10 Franken. Für eine Sechserpackung Wasser zahle ich im Laden umgerechnet Fr. 1.50. Mit ein bisschen Glück kommt Samir mit dem Sammeln der Flaschen am Monatsende auf einen – zum Leben eigentlich viel zu tiefen – Monatsmindestlohn von rund 120 Franken. Allerdings ohne Kranken- und Sozialversicherung und ohne feste Arbeitszeiten oder freie Tage.