Alfred Walder (Name geändert) starb Ende 2022. Er wohnte mit seiner Ehefrau Erika in einer Thurgauer Gemeinde. Das Ehepaar war kinderlos.
Walder hinterliess nach Abzug der Beerdigungskosten 400'000 Franken. Ein Testament hatte er nicht verfasst. Es gab auch keinen Erbvertrag. Deshalb kommt für die Verteilung des Erbes die Regelung im Zivilgesetzbuch zur Anwendung. Gesetzliche Erben sind seine Ehefrau Erika und seine Schwester Verena Walder. Diese wohnt ebenfalls im Thurgau.
Der gesetzliche Erbteil beträgt für die verwitwete Ehefrau drei Viertel des Nachlasses, also 300'000 Franken. Die Schwester hat Anspruch auf einen Viertel, also 100'000 Franken. Ehegatten sind in allen Kantonen von der Erbschaftssteuer befreit, nicht aber die Geschwister des Verstorbenen. Für die geerbten 100'000 Franken müsste Verena Walder 6000 Franken Erbschaftssteuern an das Steueramt abliefern.
Verena Walder ist sehr wohlhabend und daher nicht auf das Geld angewiesen. Sie möchte auf das Erbe zugunsten ihrer Schwägerin Erika verzichten. Das ist zulässig. Denn im Erbrecht gilt der Grundsatz der freien Erbteilung. Erben können den Nachlass anders unter sich aufteilen, als es das Gesetz vorsieht oder der Verstorbene in einem Testament angeordnet hat.
Aber Vorsicht: Verzichtet ein Erbe bei der Erbteilung auf sein Erbe zugunsten eines Miterben, betrachten einige Steuerämter das zum Teil als Schenkung zwischen den Erben. Der Zürcher Steuer- und Erbrechtsspezialist Marc’Antonio Iten sagt: «Je nach Kanton fallen dann Schenkungssteuern an.»
Er untersuchte für die Fachzeitschrift «Treuhandexperte», wie solche Erbverzichte durch die Steuerämter behandelt werden. Wichtig ist dabei: Zivilrechtlich ist ein Verzicht auf einen Anspruch keine Schenkung. Aber Steuergesetze und Steuerämter müssen sich nicht an erb- oder vertragsrechtliche Gesetzesbestimmungen halten.
Auf das gleiche Erbe zweimal Steuern erhoben
Für die Besteuerung ist der Kanton zuständig, in dem die verzichtende Person wohnt. Für Verena Walder gilt also das Thurgauer Steuergesetz. Dieses kennt keine Regeln für die Besteuerung eines Erbverzichts zugunsten eines anderen Erben. Trotzdem verlangt das Steueramt für eine Schenkung etwa von 100'000 Franken zwischen Schwägerinnen eine Steuer von 12'000 Franken, welche die Witwe des Verstorbenen als Begünstigte bezahlen müsste.
Das Ergebnis dieser Besteuerung ist stossend: Auf das gleiche Erbe werden zweimal Steuern erhoben. Zuerst fällt die Erbschaftssteuer bei der Schwester des Verstorbenen an, dann nochmals bei der Witwe als Begünstigte des Erbverzichts ihrer Schwägerin. Der Thurgauer Fiskus kassiert in diesem Fall gegen 18'000 Franken.
In der Schweiz geschieht es oft, dass Kinder zugunsten des überlebenden Elternteils auf ihren Erbanteil verzichten oder ein Erbe im Rahmen einer Erbteilung eine Liegenschaft zum Steuerwert anstatt zum höheren Verkehrswert übernimmt. Jeder Kanton bestimmt selbst, ob solche Konstellationen vom Steueramt als Querschenkung betrachtet und besteuert werden.
Die Praxis ist je nach Art des Erbverzichts unterschiedlich. Das zeigt eine Umfrage von K-Geld bei den Steuerämtern der Deutschschweizer Kantone Ende April. Luzern, Obwalden und Schwyz erheben generell keine Schenkungssteuer. Markus Beeler von der Schwyzer Steuerverwaltung sagt: «Die Frage der Besteuerung einer Querschenkung besteht somit bei uns nicht.» Bei den übrigen Kantonen kommt es auf die Art des Verzichts an.
- Erbverzicht: Fast alle Kantone erheben die Schenkungssteuer, wenn ein Erbe auf seinen Erbteil zugunsten eines Miterben verzichtet. Ausnahmen sind etwa Aargau oder Basel-Landschaft.
- Ausschlagung: Innert drei Monaten hat jeder Erbe das Recht, die Erbschaft auszuschlagen. Tut er das, gibt es steuerrechtlich keine Folgen. Schlägt er das Erbe aber später zugunsten seiner Miterben aus, gilt dies in den meisten Kantonen als steuerbare Querschenkung.
- Vermächtnis: Anders ist es bei der Ausschlagung eines Vermächtnisses. Wer ein solches, etwa einen Geldbetrag, zugesprochen erhält, wird bei der Erbteilung nicht berücksichtigt. Man hat lediglich einen Anspruch gegenüber den Erben. Bei einem Verzicht stellt das in vielen Kantonen, etwa in Bern oder Basel-Stadt, keine Querschenkung dar. Also entfällt eine Besteuerung.
- Liegenschaft: Die Besteuerung entfällt auch bei einer Liegenschaft, die ein Erbe bei der Erbteilung zu einem Steuerwert übernimmt, der unter dem Marktwert (Verkehrswert) liegt. Eine Ausnahme gilt aber etwa in Solothurn: Dort muss der Begünstigte für die Differenz eine Schenkungssteuer bezahlen, wenn der Steuerwert weniger als 75 Prozent des Verkehrswerts beträgt.
- Güterrechtliche Ansprüche: Nach dem Tod einer verheirateten Person muss zuerst die güterrechtliche Auseinandersetzung durchgeführt werden. Zur Erbschaft ist lediglich das zu rechnen, was eherechtlich der verstorbenen Person gehörte, nicht aber, was dem überlebenden Ehepartner aus Eherecht zusteht. Verzichtet dieser auf seinen Anspruch zugunsten der Miterben, gilt dies in den meisten Kantonen als steuerbare Querschenkung.
- Nutzniessung/Wohnrecht: Beide Rechte sind als Vermögenswerte zu betrachten. Ein Verzicht darauf stellt in fast allen Kantonen eine steuerbare Querschenkung dar.
Steuerbare Querschenkungen kommen laut den angefragten Steuerämtern nicht sehr häufig vor. Die meisten Kantone gaben an, pro Jahr seien es weniger als zehn Fälle.
Tipp: Verfügungen von Steuerämtern sind anfechtbar. Im Streitfall entscheidet ein unabhängiges Gericht. Kein Steuergesetz sieht Steuern auf Querschenkungen vor. Steuerpflichtige haben deshalb gute Chancen, dass ein Erbverzicht nicht zu zusätzlichen Steuern führt. Bundesgerichtsurteile zu solchen Sachverhalten gibt es bisher nicht.