Ganz im Norden von Island liegt im längsten Fjord des Landes die Insel Hrísey. Mit einer Fläche von acht Quadratkilometern ist sie Islands zweitgrösstes Eiland – gerade so gross wie der Schlosspark von Versailles. Statt symmetrischer Buchsbaumhecken bestimmen auf Hrísey aber wildwachsende Zwergbirken die Szenerie. Anstelle von barocken Bauten entstanden im Hafen seinerzeit Baracken für die Fischverarbeitung, und anstelle von Brunnen und Wasserspielen laden ein Freiluftschwimmbecken und Hot Pots (Badepools) zum Verweilen ein. Den Mittelpunkt des Inselörtchens bildet kein Schloss, sondern ein kleiner Shop.
Als ich bei einem Ausflug auf Hrísey ankomme, ist der Laden gerade geschlossen. Vor der Tür bietet ein kleiner, unscheinbarer Selbstversorgungsschrank einzelne Produkte an. Bezahlt wird an der «Kasse des Vertrauens». Laut der Chefin des Ladens, Díana Björg Sveinbjörnsdóttir, ist das kein Problem: «Es kommt nicht oft vor, dass in der Kasse etwas fehlt – und wenn, sind es höchstens ein paar Kronen.» Leute, die nicht genug Bargeld dabeihätten, kämen tags darauf nochmals vorbei und bezahlten den Rest.
Ausserhalb der Öffnungszeiten können Kunden auch per App bezahlen. «Es funktioniert sehr gut und war von Anfang an ein Erfolg», sagt Sveinbjörnsdóttir. «Die Leute schätzen es, sich rund um die Uhr mit dem Nötigsten wie Cola, Milch, Rahm, Chips und Hygieneprodukten eindecken zu können.»
Der Wunsch nach einem eigenen Laden vereinte die Inselbewohner. 2015 schlossen sie sich zu einer Genossenschaft zusammen und beteiligten sich mit Anteilen. Damals gab es auf der Insel keine Einkaufsmöglichkeit. Für grosse Einkäufe reisten die Bewohner zuvor aufs Festland, ins 35 Kilometer entfernte Akureyri. Dorthin fährt Díana Björg Sveinbjörnsdóttir auch, um bei der Bank Notennachschub für den «Bancomaten» im Shop zu beschaffen.
Auf Hrísey leben gerade einmal 150 Leute. Einige kommen im Shop zum Abholen der Post vorbei, die zweimal wöchentlich per Fähre auf die Insel gebracht wird. Andere kommen, um Lotto zu spielen, oder auch nur auf einen Kaffee. «Der Shop ist eine Art soziales Zentrum für uns», so Sveinbjörnsdóttir.
Einen grossen Lottogewinner hat der kleine Laden noch nicht hervorgebracht. Hingegen versorgt er die Inselgemeinschaft jeden Freitagabend mit selbstgebackenen Pizzas. Auch das ist ein Gewinn. Während zweier Stunden verwandelt sich der Laden jeweils in eine Pizzabäckerei. Dafür lieh sich die Betreiberin im vorigen Jahr eigens einen kleinen Pizzaofen. «Wir wollten einfach noch etwas mehr bieten», erzählt sie.