«Ich gebe es zu: Ich habe das System ausgereizt», sagt ein EDV-Berater aus Kerns OW. Er ist Inhaber und einziger Angestellter seiner GmbH. Und er dachte sich: Wenn grosse Unternehmen mit allerlei Winkelzügen Steuern sparen können, so will ich das auch. Deswegen hat er sich einen eher bescheidenen Lohn ausbezahlt, gleichzeitig aber eine relativ hohe Dividende. Und zwar so, dass das Bundesgericht im Nachhinein von einem «offenkundigen Missverhältnis» zwischen Dividende und Lohn spricht.
Der Hintergrund: Der Bund und alle Kantone gewähren Grossaktionären und Gesellschaftern eine ermässigte Besteuerung der Dividenden (siehe Unten). Betroffen sind also Personen, die gleichzeitig Arbeitnehmer und Aktionäre bzw. Gesellschafter sind. Dieser Rabatt soll die Doppelbesteuerung mildern, die insbesondere erfolgreiche, inhabergeführte Gesellschaften zu tragen haben. Denn zuerst muss ihr Unternehmen den Gewinn versteuern. Und anschliessend muss der Aktionär oder die Aktionärin die daraus bezahlte Dividende auch noch als Einkommen versteuern.
Dieses Dividendenprivileg eröffnet Steuersparmöglichkeiten. Denn aus Sicht eines geschäftsführenden Aktionärs kann es Sinn machen, sich einen eher bescheidenen Lohn und dafür mehr teilbesteuerte Dividende auszuzahlen – zumal auf die ausgeschütteten Dividenden auch keine AHV- oder sonstigen Sozialabgaben fällig werden. Analoges gilt für die Ausschüttungen einer GmbH.
Wenig Lohn, hohe Dividende: AHV schreitet ein
Auch das Bundesgericht schreibt, dass es «unter beitragsrechtlichem Gesichtswinkel vorteilhaft erscheinen mag, hohe Dividenden und ein tiefes Salär auszuweisen».Wer die Steueroptimierung allerdings übertreibt, muss damit rechnen, dass die zuständige Ausgleichskasse einschreitet. So war es auch beim IT-Spezialisten aus Obwalden. Er hatte in einem Steuerjahr einen Lohn von 106800 Franken bezogen sowie eine Dividende von 100000 Franken. Von dieser Dividende akzeptierte die AHV-Ausgleichskasse nur 29400 Franken als beitragsfreie Summe, den Rest von 70600 Franken rechnete sie ihm als Lohn auf. Das Bundesgericht hat das abgesegnet (Urteil 9C_327/2015).
Bei dieser Aufrechnung gelten die folgenden Grundsätze:
- Eine Dividende wird als überhöht betrachtet, wenn sie mehr als zehn Prozent des effektiven wirtschaftlichen Werts des Gesellschaftskapitals ausmacht. Der überschiessende Teil wird dann dem AHV-pflichtigen Einkommen zugerechnet.
- Damit ein Teil der Dividende als Lohn eingestuft werden darf, muss gleichzeitig der Lohn «unangemessen tief» sein, wie es in der betreffenden Wegleitung der AHV heisst. Das ist schwammig formuliert und muss im Streitfall vom Gericht entschieden werden.
- Daraus folgt: Wenn eine Dividende überhöht ist, darf die AHV daraus nicht automatisch schliessen, der Lohn sei zu tief.
- Eine Aufrechnung (also eine Umwandlung von Vermögensertrag in Lohn) darf die AHV höchstens bis hinauf zu einem branchenüblichen Lohn machen.
Ein Fall aus St. Gallen zeigt, dass es sich lohnen kann, Entscheide der AHV anzufechten. Dort hatte der einzige Gesellschafter und Angestellter einer GmbH in den Jahren 2009 und 2010 120000 Franken bzw. 180000 Franken als Lohn bezogen, dazu eine Dividende von 8000 bzw. 49000 Franken. Die AHV wollte jeweils die Hälfte der Dividende zur Lohnsumme dazuzählen. Das Bundesgericht hat das abgelehnt. Der Lohn entspreche der Arbeitsleistung, da gebe es kein Missverhältnis. Und das Verhältnis von Dividende zu eingesetztem Kapital müsse dann gar nicht mehr näher geprüft werden, weil ja gleichzeitig beide Voraussetzungen (zu tiefer Lohn und überhöhte Dividende) erfüllt sein müssten (Urteil 9C_837/2014).
Steuerexperte: «Wildes Treiben» der Ausgleichskassen
Der EDV-Fachmann aus Obwalden hingegen hatte vor Bundesgericht keinen Erfolg. Die Behörde rechnete ihm vor, dass er im betreffenden Jahr 180000 Franken hätte verdienen können. Das ergebe sich aus statistischen Durchschnittsdaten. Und deswegen seien die angegebenen 106800 Lohnfranken unangemessen tief. Daher hat ihm die AHV den Lohn auf 177400 Franken aufgerechnet (106800 plus 70600 Franken). Das Bundesgericht sagt, die statistisch errechneten knapp 180000 Franken lägen «an der oberen Grenze des noch Vertretbaren».
Der Zürcher Anwalt und Steuerexperte Orlando Rabaglio spricht in diesem Zusammenhang vom «wilden Treiben» der Ausgleichskassen. Und der betroffene IT-Spezialist ärgert sich: Die angeblich möglichen 180000 Franken seien ein «Fantasiebetrag». Er habe vor und nach seiner Phase der Selbständigkeit als Angestellter nie so viel verdient.