«Vorsorgefonds Pension 75»: So heisst ein neuer Fonds der Postfinance. Wer bei Postfinance ein Zinskonto der 3. Säule hat, kann sein Guthaben jetzt auch ganz oder teilweise in den neuen Fonds und damit an den Börsen investieren.
Wie sich dieser Fonds in Zukunft entwickelt, ist offen. Im Detailblatt dazu erhält der Betrachter aber das Gefühl: Diesen Fonds gibt es schon lange, und der Wert der Fondsanteile hat sich bis heute prächtig entwickelt (siehe Abbildung 1). Der Fonds ist ausserdem – gemäss Kurven – markant besser als seine Postfinance-«Verwandten» mit den Namen «Pension 25» und «Pension 45», die es beide seit 2001 gibt. Die Zahlen im Namen beziffern den Aktienanteil im jeweiligen Fonds.
«Bewährte Methode, um den Erfolg von Anlage-strategien zu testen»
Wie kann es sein, dass ein Fonds bereits Performance-Zahlen für die Vergangenheit hat, obwohl er erst jetzt startet? Dahinter steckt eine Rückrechnung, die in den Fondsunterlagen meistens als Backtesting bezeichnet wird. Das Rechenresultat gibt an, wie sich der neue Fonds mit seiner spezifischen Strategie in der Vergangenheit entwickelt hätte, wenn es ihn schon lange gäbe. Es handelt sich also um eine Rückwärts-Simulation nach dem Motto «So wäre es gewesen, wenn ...».
In der Theorie spricht nichts gegen ein solches Vorgehen. Manuel Ammann, Professor für Finanzen an der Universität St. Gallen, sagt: «Grundsätzlich handelt es sich beim Backtesting um eine bewährte, auch in der Wissenschaft eingesetzte Methode, um den Erfolg von Anlagestrategien zu testen.»
Dem pflichtet Finanzprofessor Martin Wallmeier von der Universität Fribourg zu. Aber er warnt: «Wenn Backtesting dem Verkauf neuer Produkte dient, besteht die Gefahr, dass der Zeitraum und die genaue Definition der Strategie so gewählt werden, dass die Performance möglichst attraktiv aussieht.»
Das Postfinance-Beispiel scheint diesen Verdacht zu bestätigen. Denn die Kurve beginnt ausgerechnet im Dezember 2008. Sie blendet damit den Börsenabsturz von 2008 fast gänzlich aus. Wie eine vergleichbare Kurve aussieht, die den Börsenabsturz von 2008 voll mitnimmt, zeigt die effektive Verlaufskurve des Pension-45-Fonds, die Postfinance selber für diesen Fonds publiziert (Abbildung 2 im PDF). Dort sind die starken Ausschläge nach unten sehr viel markanter zu sehen.
Das sei keine Manipulation, betont Postfinance. Die Risiken des Produkts würden «in keiner Weise» verheimlicht. Dem widerspricht Finanzprofessor Marc Chesney von der Universität Zürich: «Korrekter wäre gewesen, auch ein Szenario zu zeigen, das länger als nur bis ins Jahr 2008 zurückgeht.»
Wie trügerisch Backtesting sein kann, zeigt auch ein Beispiel der Schaffhauser Kantonalbank. Sie hat Anfang 2016 ein neues Vermögensverwaltungsmandat lanciert – und im Factsheet ebenfalls mit Performance-Zahlen und Kurven aus der Vergangenheit unterlegt (Abbildung 3). Störend dabei: Im Produktblatt fehlt der deutliche Hinweis, dass es sich hier um eine Rückrechnung handelt.
Schlimmer aber ist: Bei den simulierten Performance-Angaben sind die Anlagekosten nicht berücksichtigt. Martin Wallmeier bemängelt denn auch: «Dass im Beispiel die Pauschalgebühr von 0,9 Prozent pro Jahr nicht abgezogen wird, lässt die Strategie deutlich besser aussehen, als sie für den Anleger gewesen wäre.»
Renditeprognose tiefer als in Backtesting-Grafiken angegeben
Wallmeier kritisiert auch, dass hier die Rückschauwerte zu hohe Erwartungen für die Zukunft schüren. Er nimmt Bezug auf die Variante «Einkommen» des neuen Vermögensverwaltungsmandats der Schaffhauser Kantonalbank, die eine Obligationenquote von 62 Prozent hat: «Solche Renditen sind im aktuellen Zinsumfeld recht unwahrscheinlich», sagt Wallmeier. Die Renditeprognose werde in den übrigen Unterlagen dementsprechend auch nur mit 1,7 Prozent pro Jahr angegeben – und damit deutlich tiefer als die in den Backtesting-Grafiken gezeigte durchschnittliche historische Rendite.
Die Schaffhauser Kantonalbank entgegnet: «Wir wollen dem Kunden die Schwankungsbreiten der gewählten Anlage aufzeigen. So kann er die Risiken am besten beurteilen.»
Backtesting: Der Blick zurück ist oft getrübt
Das Wichtigste zum Thema:
Seien Sie skeptisch, wenn Ihnen bei neuen Produkten Rückwärts-Simulationen begegnen. Sie sind immer theoretischer Art und keine realen Performance-Angaben. Für Laien ist nicht nachvollziehbar, wie genau die Rückwärtsbetrachtung zustande kommt. Nehmen Sie Backtesting-Angaben nur als vagen, unverbindlichen Hinweis.
Bei solchen Vergangenheitszahlen gibt es unzählige Möglichkeiten, ein neues Produkt gut oder schlecht aussehen zu lassen. Auch deshalb ist Misstrauen angesagt. Allein schon die Wahl und die Dauer des Betrachtungszeitraums bieten unzählige Möglichkeiten, ein gutes Resultat «heranzutricksen». Finanzprofessor Manuel Ammann sagt: «Unwissenschaftliche, aber leider häufige Vorgehensweise: Man sucht sich die Zeitperiode (oder den Markt usw.) heraus, für die die Resultate besonders gut sind. Dann dient Backtesting nurmehr der Täuschung.»
Backtestings sind für Anlegerinnen und Anleger speziell nützlich, wenn sie klar die Schwankungsbreite aufzeigen, die das neue Produkt haben kann – wenn also auch mögliche hohe Verluste augenfällig sind.
Schliessen Sie nie aus der Vergangenheit auf die Zukunft. Zahlen aus früheren Jahren geben keine Gewähr, dass ein Finanzprodukt auch künftig erfolgreich sein wird.