plädoyer: Laut Artikel 9 der Bundesverfassung hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen nach Treu und Glauben behandelt zu werden. Die Strafprozessordnung enthält aber Artikel über die verdeckte Ermittlung und die verdeckte Fahndung. Danach darf der Staat mit Leuten zusammenarbeiten, welche die Bürger über ihre Ziele und ihre Identität täuschen. Verletzt dies nicht die Verfassung?
Beat Oppliger: Grundrechte kann man einschränken, wenn die Voraussetzung dafür gegeben ist: Es muss eine klare gesetzliche Grundlage vorliegen. Das ist mit der Strafprozessordnung erfüllt.
Frank Meyer: Grundsätzlich bin ich mit dieser Aussage einverstanden. Das eigentliche Problem ist die Angemessenheit im Einzelfall. Der Begriff «Treu und Glauben» ist extrem dehnbar. Es stellt sich die Frage, inwiefern dies als eine Form von Persönlichkeitsschutz anzusehen ist. Der Vertrauensschutz, den Artikel 9 BV im Blick hat, begründet meiner Ansicht nach keinen Anspruch des Bürgers, vom Staat nicht getäuscht zu werden. Der Artikel schliesst Formen von verdeckter oder täuschender Ermittlungstätigkeit nicht aus. Es gibt jedoch Juristen, die das anders sehen. Sie sind der Ansicht, dass ein Leitprinzip der offenen Ermittlungen existiert.
plädoyer: Worauf hat dann der Bürger Ihrer Ansicht nach Anspruch?
Meyer: Auf effektive strafrechtliche Ermittlung unter Wahrung der Freiheits- und Justizgrundrechte. Es stellt sich dabei die Frage, wie weit der Staat bei seiner Verpflichtung, Straftaten aufzuklären, gehen kann. Und ob die Bundesverfassung oder die Menschenrechtskonvention eine Form von Persönlichkeitsschutz bieten, der die verdeckte Ermittlung und die potenzielle Eingriffstiefe begrenzt. Dazu hat sich in der Literatur bislang praktisch niemand geäussert. Die Praxis achtet nur darauf, Verstösse gegen die Selbstbelastungsfreiheit zu vermeiden. Die Dimension eines persönlichkeitsrechtlichen Verstosses wird dagegen komplett ausgeblendet. Das ist erstaunlich.
plädoyer: Herr Oppliger, wie weit kümmern sich Staatsanwälte um die Persönlichkeitsrechte von Angeschuldigten?
Oppliger: Unser Auftrag ergibt sich aus der Strafprozessordnung. Dort steht, was im Rahmen der Strafuntersuchung zulässig ist und was nicht. Es ist klar, dass aus Sicht des Beschuldigten ein Eingriff erfolgt, den er als problematisch empfindet. Unsere Leitlinie muss sein, dem Anspruch der Prozessordnung Rechnung zu tragen und das Vorverfahren im Rahmen der gesetzlichen Schranken rechtsstaatlich sauber abzuwickeln. Es gibt hinsichtlich der verdeckten Ermittlung und der verdeckten Fahndung klare gesetzliche Grundlagen – nicht nur in der Strafprozessordnung, sondern, zumindest im Kanton Zürich, auch in den Polizeigesetzen. Der Gesetzgeber hat seine Hausaufgaben gemacht.
plädoyer: Professor Mark Pieth kritisierte, im Strafverfahren werde immer mehr die Heimlichkeit zum Prinzip. Darunter litten der Rechtsstaat und die Demokratie (plädoyer 5/16). Wird der Rechtsstaat zunehmend demontiert?
Oppliger: Das trifft nicht zu. Von einer Tendenz Richtung Heimlichkeit kann keine Rede sein. Es ist aber klar, dass die verdeckte Ermittlung im geheimen Rahmen stattfindet. Verdeckte Ermittlung ist zulässig, notwendig und vom Gesetzgeber explizit gewollt.
plädoyer: Das bestreitet Pieth nicht. Er sagt aber im Grundsatz, der Staat dürfe sich mit Gesetzen nicht alle möglichen Rechte einräumen – sonst leide der Rechtsstaat.
Meyer: Es ist mir zu pauschal, einfach zu sagen, Heimlichkeit ist per se schlecht. Auch wenn dies in der Lehre manchmal so gesehen wird. Der Staat muss effektive Ermittlungsmöglichkeiten haben. Die Täter arbeiten auch oft in sehr professionellen, gründlich abgeschirmten Strukturen. Damit besteht ein praktischer Bedarf für verdeckte Ermittlungen.
plädoyer: Herr Oppliger, können Sie etwas zur Häufigkeit von verdeckten Ermittlungen sagen?
Oppliger: Genaue Zahlen möchte ich keine nennen. Im Kanton Zürich handelt es sich um einen überschaubaren Kreis von Fällen. Deshalb gibt es auch nicht viele Urteile zum Thema. Verdeckte Ermittlungen sind sehr intensiv und anforderungsreich. Sie binden viele Ressourcen und benötigen viel Knowhow.
plädoyer: Besteht tatsächlich ein Bedarf für verdeckte Ermittlungen? Sind die neuen Normen durch Tatsachen begründet oder einfach politischer Mainstream? Nimmt die Kriminalität zu?
Meyer: Was versteht man unter zunehmender Kriminalität? Es gibt bestimmte Formen von schwerer organisierter Kriminalität, die man nur mit derartigen Mitteln bewältigen kann. Es geht ja nicht um den Ladendieb oder einen Beziehungsmord, den man mit ganz normaler Tatspurenaufnahme oder Befragungen im Umfeld des Opfers bewältigen kann.
plädoyer: Das Gesetz enthält eine lange Aufzählung von Delikten, bei denen verdeckt ermittelt werden darf. Dazu gehören auch viele Eigentumsdelikte – selbst kleinere.
Meyer: Man muss sich tatsächlich fragen, ob der Normenkatalog im Gesetz nicht zu weit geht. Da besteht möglicherweise ein gewisses Missverhältnis. Ich würde mir wünschen, dass der Gesetzgeber klarer darlegt, inwiefern eine bestimmte Massnahme auf einem spezifischen Bedürfnis aufbaut. Es ist vielfach die Praxis, vor allem der Polizeibereich, welche die Entwicklung treibt. Ein technischer Fortschritt bringt neue Ermittlungsmöglichkeiten – und diese will man nutzen. Beispiel: die Vorratsdatenspeicherung. Das Gesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) enthält staatliche Kompetenzen, die es in andern europäischen Ländern aus grundrechtlichen Gründen nicht mehr geben darf.
Oppliger: Es gibt äussere Faktoren, die dazu beitrugen, dass man solche Gesetze macht. Beispielsweise bestimmte Formen von organisierter Kriminalität. Etwa Menschenhandel, Geldwäscherei, bandenmässiger Raub in verschiedenen Erscheinungsformen, um nur einige Beispiele zu nennen. Ermittlungsverfahren in diesen Bereichen sind sehr aufwendig. Zweitens erleichtern die grössere Mobilität und die teilweise offenen Grenzen beispielsweise Menschenschmuggel. Drittens ist die Situation für Strafverfolger bei der Kommunikationsüberwachung sehr unbefriedigend – wegen der zunehmenden digitalen Verschlüsselung. Es gibt Verschlüsselungen, die nicht mehr zu knacken sind. Die Hersteller wollen dies so. Da kommt man mit den bisherigen Methoden nicht mehr weiter.
Meyer: Wichtig ist: Man muss alle getroffenen Massnahmen auch gegenüber einer Person verantworten können, die sich im Nachhinein als unschuldig erweist. Der Betroffene der Massnahme bleibt ein Bürger. Und seine Bürgerrechte müssen ernstgenommen werden. Die entscheidende Frage ist, wie weit man gehen darf. Und wie frühzeitig man solche Massnahmen anwenden kann. In der Strafprozessordnung gilt der Vorrang der Offenheit vor der Heimlichkeit und der Freiwilligkeit vor dem Zwang. Die Frage, die mich als Wissenschafter vor allem interessiert: Kommt diese Subsidiarität tatsächlich zur Anwendung? Prüft das Zwangsmassnahmengericht also die von der Staatsanwaltschaft beantragten Massnahmen ernsthaft oder nickt es diese einfach ab?
plädoyer: Herr Oppliger, wie viele Anträge der Staatsanwaltschaft werden vom Zwangsmassnahmegericht prozentual gutgeheissen?
Oppliger: Dazu habe ich keine Zahlen. Es kommt aber immer wieder vor, dass unsere Anträge abgewiesen werden, weil das Zwangsmassnahmengericht die Mittel als nicht verhältnismässig betrachtet oder unser Antrag zu wenig gut belegt ist. Ich denke, im Kanton Zürich funktioniert der Kontrollmechanismus. Wie es sich in anderen Kantonen verhält, kann ich nicht beurteilen. Der Subsidiaritätsgrundsatz gemäss den gesetzlichen Vorgaben wird immer eingehalten. Es ist gar nicht anders denkbar: Es stellt sich immer die Frage, ob die notwendigen Beweise nicht durch andere, weniger weit gehende Massnahmen erhoben werden können. Es ist auch eine Ressourcenfrage: Einen verdeckten Ermittler kann man nicht einfach aus der Polizeischule nehmen. Das ist eine äusserst anforderungsreiche Tätigkeit. Diese Person müssen sie schulen und aufbauen, sie muss hohe Anforderungen erfüllen.
plädoyer: Gemäss Gesetz muss ein verdeckter Ermittler kein Polizist sein. Auch andere Leute dürfen temporär mit Aufträgen zur verdeckten Ermittlung beauftragt werden.
Oppliger: Grundsätzlich schon. Von der Qualität, der Verlässlichkeit und der Zuverlässigkeit her muss das Vorgehen aber auch in solchen Fällen rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen. Es gibt diverse Kontrollmöglichkeiten, am Schluss wird das Strafgericht darüber befinden.
plädoyer: Im Kanton Solothurn setzten die Strafbehörden in einem Fall verdeckte Ermittler gegen eine Mutter ein. Eine Ermittlerin brachte es bis zur persönlichen Freundin der Verdächtigen. Gingen die Ermittlungsbehörden zu weit?
Oppliger: Ich kenne den Fall aus Solothurn nur aus dem veröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts. Aufgrund der Ausgangslage hätte ich in diesem Fall auch verdeckte Ermittler eingesetzt. Es ging um die Aufklärung eines mutmasslichen Tötungsdelikts an einem Baby. In solchen Fällen ist die Führung der verdeckten Ermittler entscheidend. In einem innerfamiliären Umfeld muss die Kontrolle engmaschig sein und es müssen regelmässige und klare Absprachen stattfinden. Was tut man, um das Vertrauensverhältnis aufzubauen? Wo liegen die Schranken und Grenzen? Da sind die Führungsperson des verdeckten Ermittlers und die Staatsanwaltschaft extrem gefordert.
plädoyer: Wo ziehen Sie die Grenze des Zulässigen? Beim Intimbereich?
Oppliger: Es gibt Grenzen des Zulässigen. Würden verdeckte Ermittler zum Beispiel ein Liebesverhältnis simulieren oder eine sexuelle Beziehung eingehen, um Informationen zu erhalten, würde das zu weit gehen. Auch Drohungen, Nötigungen oder unter Druck setzen ginge zu weit. Ein Vertrauensverhältnis muss aber aufgebaut werden dürfen.
Meyer: Ich bin skeptischer. Die Voraussetzungen und Grenzen des Eingriffs sind von der Rechtsprechung noch nicht geklärt. Ich kritisiere am Solothurner Fall, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Familien- und Privatleben gemäss EMRK unter Berücksichtigung der Menschenwürdegarantie von den beteiligten Solothurner Strafverfolgungsorganen gar nicht richtig geprüft wurde. Es wurde nicht geprüft, ob so tief in den persönlichen Nahbereich eingedrungen wurde, dass dies eine eigenständige Persönlichkeitsverletzung sein könnte. Es begann mit zwei verdeckten Ermittlern, nachher waren es sechs verdeckte Ermittler, die im Umfeld der Verdächtigen positioniert waren. Irgendwann hätte man sagen müssen, bei der intensiven persönlichen Intimität, die von einigen Ermittlern gezielt hergestellt wurde, ist die Grenze überschritten. Zudem lag hier eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit sehr nahe.
plädoyer: Das Bundesgericht hat die Beschwerde der Verteidigung in diesem Fall jedoch kürzlich abgewiesen.
Meyer: Das Bundesgericht wollte diese Thematik nicht überprüfen. Es hat nur geprüft, ob die Anordnung der Staatsanwaltschaft korrekt war. Der wirklich tiefe Grundrechtseingriff bei der Ausführung wurde gar nicht kontrolliert. Das Bundesgericht sagt dazu, dies wäre erst Gegenstand des Hauptverfahrens. Das ist für mich ein rechtsstaatlicher Skandal. Es verstösst gegen die Menschenrechtskonvention, den Rechtsschutz gegen mögliche Grundrechtsverletzungen auf unbestimmte Zeit vorzuenthalten bzw. von den weiteren Verfahrenshandlungen der staatlichen Organe abhängig zu machen. Im Klartext bedeutet das Urteil: Die Personen, die einem länger andauernden, massiven Grundrechtseingriff ausgesetzt waren, haben keine Chance, aktiv ein Schweizer Gericht anzurufen und die Rechtswidrigkeit dieser Massnahme überprüfen zu lassen. Sie werden vom Bundesgericht darauf vertröstet, dass dies im Hauptverfahren durch den Sachrichter geschehen wird. In diesem Solothurner Verfahren aber wird es womöglich nie ein Hauptverfahren geben, weil man bis heute keine Anklagereife erreichen konnte. Die EMRK verlangt aber in Artikel 13, dass den Betroffenen eine effektive Überprüfungsmöglichkeit eingeräumt wird.
Oppliger: Für mich ist der Entscheid des Bundesgerichts sehr gut nachvollziehbar. Für die Staatsanwaltschaft gibt es keinen «Werkzeugkoffer», wie genau vorzugehen ist, denn jeder Fall liegt anders. Sämtliche Aspekte sind zu berücksichtigen, insbesondere die konkrete Verdachtslage, die Art und Schwere des Deliktes. Auch muss geklärt werden, wie das notwendige Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann. Diese individuellen Merkmale sind spezifisch im Einzelfall zu analysieren. Der Staatsanwalt muss sich fragen, ob das Vorgehen mit dem Kerngehalt der Grundrechte – Persönlichkeitsschutz und Menschenwürde – vereinbar ist oder nicht. Da darf und muss er die Grenzen auch ausloten. Er darf sie aber nicht überschreiten.
plädoyer: Sollten Missbräuche der Ermittler durch zusätzliche gesetzliche Vorschriften verhindert werden?
Meyer: Für mich stellt sich die Frage, was wir der Staatsanwaltschaft an die Hand geben können, damit sie rechtssicher und bürgerrechtsschonender operieren kann. Dafür bedarf es nicht unbedingt neuer gesetzlicher Regelungen. Die Staatsanwälte müssen sich klarmachen, in welche Grundrechte ihre Massnahmen mit welcher Intensität eingreifen. Teilweise denken Staatsanwälte, mit der verdeckten Ermittlung gehe eine Autorisierung zu praktisch allen möglichen Persönlichkeitsverletzungen einher. Dem ist natürlich überhaupt nicht so. Das Bundesgericht müsste einmal klarstellen, dass die Persönlichkeitsrechte geprüft werden müssen. Wichtig wäre dabei auch, dass der Kumulationseffekt, den die Massnahmen in ihrer Gesamtheit haben, endlich mitberücksichtigt wird. Ermittlungsmassnahmen werden in der Regel immer nur einzeln geprüft. Das Zwangsmassnahmengericht müsste sich aber Gedanken dazu zu machen, was es bedeutet, wenn man aus der Sicht des Betroffenen alle Massnahmen zusammenrechnet. Wenn etwa mehrere Ermittler über einen mehrjährigen Zeitraum agieren, besteht eine andere Beeinträchtigung der Grundrechtssphäre, als wenn ein einziger Ermittler für drei Monate tätig ist.
plädoyer: Die Staatsanwaltschaft hat die Aufgabe, begangene Delikte aufzuklären, und nicht, neue Delikte zu provozieren. Bei verdeckten Ermittlern stellt sich immer wieder die Frage, ob ein Delikt durch die verdeckten Ermittler erst veranlasst wurde.
Oppliger: Das ist eines der Kernthemen. Wann wird ein Tatentschluss, der vorhanden ist, bestärkt, wann wird er erst geweckt? Wann geht es in Richtung Anstiftung? Der Staatsanwalt hat das Ziel, verwertbare Beweise zu sammeln, damit er Anklage erheben kann. Dabei muss er kritisch hinterfragen, wie gross die Einflussnahme des Ermittlers auf den Beschuldigten war.
plädoyer: Die Frage, ob der Tatentschluss schon bestand oder nicht, ist eine innere Tatsache, die nur der Täter kennt. Wie lässt sich so etwas beweisen?
Meyer: Das wirft in der Tat erhebliche praktische Schwierigkeiten auf. Es gibt in der massgeblichen Vorschrift noch ein zweites Kriterium, die allgemeine Tatbereitschaft. Die Abgrenzung zwischen Tatbereitschaft und Tatentschluss ist recht diffus. Reicht es für die Vermutung eines Tatentschlusses schon, wenn sich jemand allgemein im Drogenmilieu bewegt? Ermittler dürfen sich zudem nur passiv verhalten, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Wann aber verhält sich ein Polizist noch passiv, was etwa darf er sagen? Darf er den Verdächtigen stimulieren, indem er einen besonders hohen Betrag, eine besonders reizvolle Menge oder ein anderes Betäubungsmittel mit hohem Renditepotenzial anbietet oder verlangt? Da muss man fairerweise sagen: Weder Wissenschaft noch Rechtsprechung können exakte Grenzen anbieten. Deswegen sollten sich verdeckte Ermittler immer so passiv wie ermittlungstaktisch möglich verhalten und eng geführt werden.
Oppliger: Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs existiert. Das Bundesgericht wendet aber nach wie vor Art. 293 Abs. 4 der StPO an: Die Konsequenz einer Überschreitung des zulässigen Masses der Einwirkung durch den verdeckten Ermittler ist eine Strafmilderung oder eine Strafbefreiung, aber kein Freispruch. Ich finde dies grundsätzlich richtig. Die Strassburger Urteile betreffen nämlich andere Staaten mit anderen Gesetzesbestimmungen und sind deshalb nur bedingt mit unserer Situation zu vergleichen.
Meyer: Es ist unhaltbar, wenn der Staat Straftaten selbst auslöst. Artikel 293 kann in der heutigen Form nicht mehr wie bisher angewendet werden. Strassburg sagt, wenn es unzulässige Einwirkungen gab, dürfen die Beweismittel nicht verwertet werden. Natürlich ist es so, dass die Entscheide des Menschenrechtsgerichtshofes nur eine Bindungswirkung für den betroffenen Vertragsstaat haben und sich nur auf den konkreten Fall beziehen. Aber das Bundesgericht muss sich an der mittlerweile eindeutigen Strassburger Rechtsprechung orientieren. Wir sollten nicht zum Gerichtshof laufen müssen, um die klare Menschenrechtslage einzufordern. Die nationalen Gerichte sollten diese Rechtsprechung von sich aus umsetzen. Von Artikel 293 Absatz 4 StPO würde dann nicht mehr viel übrigbleiben.
Beat Oppliger, 49, leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich. Er ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Staatsanwältekonferenz.
Frank Meyer, 42, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich. Zudem ist er Konsulent bei einer deutschen Anwaltskanzlei.