Vor ein paar Wochen musste ich mein indisches Visum erneuern. Als ich dem Beamten meine Dokumente vorgelegt hatte, reichte er mir ein Papier mit der Aufschrift: «Polizeiliche Überprüfung der Adresse des Bittstellers.» Diese fehle noch, und ohne die könne er mir wirklich kein Visum geben.
Die lokale Polizeistation wirkte leer. Ich ging von Zimmer zu Zimmer und fand die Polizisten in einem abgedunkelten Raum. Sie schliefen alle. Einer setzte sich auf, strich sich die Uniform glatt und sagte, er müsse meine Wohnung sehen, und ich bräuchte zwei Zeugen.
Im Wohnzimmer studierte er lange die zwei Unterschriften der Hausverwalter, die mein Fahrer geholt hatte, und schüttelte schliesslich den Kopf: «Das reicht nicht. Ich brauche noch die Namen der Väter Ihrer Zeugen, sonst ist das nicht gültig.» Dann fügte er an: «Sie können mir aber auch heute danke sagen, dann erledige ich alles sofort.» Ich verstand. Ich bezahlte und bekam mein Visum.
Bestechung ist illegal. Wer aber sagt, er lebe in Indien oder mache dort Geschäfte, ohne je ein Bestechungsgeld gezahlt zu haben, der lügt oder ist ein Heuchler. Viele Ausländer stellen einen Agenten an, wenn sie ein Visum brauchen. Ein Agent kostet 100 bis 200 Franken. Dafür erledigt er die bürokratische Arbeit, auch zahlt er die nötigen Bestechungsgelder, sodass ausländische Firmen sagen können: Wir sind sauber, wir zahlen keine Schmiergelder.
«Meine Hände müssen geölt werden», gehört zum Standardsatz bei einem indischen Geschäft. Bei Mittag- und Abendessen werden Servietten hin- und hergeschoben, auf die Prozentzahlen und Beträge gekritzelt sind. Oder es heisst: «Ihr iPad gefällt mir gut!» Doch meist reicht ein iPad nicht aus. Die Ladung sei blockiert, sagte ein Zollbeamter zu einem Schweizer Geschäftsmann, als dessen Container zum Ausschiffen bereit war. Er zahlte umgerechnet 80 000 Franken, sonst wäre das Schiff ohne seinen Container ausgelaufen.
Ist ein öffentlicher Auftrag erst einmal gewonnen, bedeutet das nicht, dass die Forderungen aufhören. «Der nächste Anruf kommt, wenn Rechnungen fällig werden. Dann weisst du: Entweder du schmierst jetzt, oder du kriegst dein Geld nie. Bei der hohen Inflation ist es lukrativer, gleich zu zahlen anstatt ein Jahr auf das Geld zu warten», sagt der Vertreter einer Schweizer Baufirma. «Natürlich sagen meine Chefs: ‹Mach da einfach nicht mit›, aber am Ende wollen auch sie nur eines: dass Aufträge reinkommen. Egal wie.»