Stolz präsentierten sich Fredy Piller und Oliver Scheuerer Mitte 2018 auf einem grossformatigen Foto im Wirtschaftsmagazin «Bilanz» (Bild im PDF). Die Zeitschrift hatte sie soeben zu den reichsten jungen Leuten des Landes gekürt.
Ihr Vermögen von 50 bis 100 Millionen Franken sollen sie mit Start-up-Firmen gemacht haben. Dazu gehören insbesondere Unternehmen wie die Screen24 AG, die Recycling Services AG und die Hyposcout AG. Screen24 vertreibt Handy-Ladestationen mit Werbebildschirmen, Recycling Services ist ein Abholdienst für wiederverwertbare Abfälle, und Hyposcout vermittelt Immobilienfinanzierungen.
Dokumente zeigen, dass Piller bei Screen24 aktuell rund die Hälfte und bei Recycling Services gut ein Drittel der Aktien kontrolliert, Scheuerer gut 10 beziehungsweise 5 Prozent. An Hyposcout sind die beiden inzwischen nicht mehr beteiligt. Scheuerer sitzt noch im Verwaltungsrat.
Betreibungen und Pfändungen in Millionenhöhe
Heute, zwei Jahre später, stuft die «Bilanz» das Vermögen der beiden ehemaligen Studenten der Hochschule St. Gallen nur noch mit 20 bis 50 Millionen Franken ein. Doch auch das dürfte weit übertrieben sein. Denn gegen die beiden Jungunternehmer und ihre Firmen laufen Betreibungen und Pfändungen über Millionenbeträge. Gegen Piller waren es im Juni 1,4 Millionen, gegen Scheuerer rund 2,3 Millionen, bei Screen24 sind es rund 1,5 Millionen und bei Recycling Services 600000 Franken. Auf der Gläubigerliste finden sich Forderungen über Hunderttausende von Franken von Steuerämtern, Sozialversicherungsanstalten und Lieferanten. Die grössten Forderungen aber stammen von Investoren und Darlehensgebern, die sich getäuscht fühlen.
Wenig bewanderte Investoren zum Kauf von Aktien überredet
Die meisten von ihnen kauften Aktien der genannten Firmen über die Venstone AG (K-Geld 4/2018 und 3/2019). Venstone betreibt ein Callcenter, das vermeintlich wohlhabenden, aber in Finanzdingen wenig bewanderten Investoren Aktien am Telefon andrehte. Darunter befinden sich Kleinunternehmer sowie Akademiker wie ein ehemaliger Professor für Medizin, eine ehemalige Linguistik-Professorin oder ein Sozialpädagoge. Sogar ein Steuerberater liess sich zum Kauf von Aktien überreden. Er wurde kurz nach seinen letzten Käufen von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde wegen seiner Demenz verbeiständet. Insgesamt verkauften allein die Recycling Services und die Screen24 Aktien im Umfang von gegen 10 Millionen Franken.
Venstone verlangte als Vermittler für die Screen24-Aktien mit Nennwert 5 Rappen bis zu Fr. 9.90. Das entspricht bei 8,2 Millionen Aktien einem rechnerischen Firmenwert von über 81 Millionen Franken. Heute bietet Venstone die 5-Rappen-Aktien für Fr. 3.50 an. Die Credit Suisse bewertete sie vor zwei Jahren mit 12 Rappen, was einen Unternehmenswert von unter einer Million Franken ergibt.
Ähnlich sieht es bei Recycling Services aus: Venstone verkaufte deren Aktien mit Nennwert 1 Rappen für einen Preis bis zu Fr. 5.50 pro Stück. Das würde einem Firmenwert von rund 56 Millionen Franken entsprechen. Nathan Landshut ist einer der Anlegeranwälte. Er sagt: «Nach klassischen Bewertungsmethoden – also einer Substanz-, Umsatz- und Gewinnanalyse − sind Screen24 und Recycling Services wertlos.»
Tatsächlich sind die Umsätze und Gewinne bei beiden Firmen bescheiden: Bei Recycling Services lag der Bruttoerlös im letzten Jahr bei 784000 Franken – minus 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Es resultierte ein operativer Gewinn von 337000 Franken. Bei Screen24 lag der Bruttoerlös 2018 bei 1,51 Millionen Franken – minus 24 Prozent. Der Verlust beläuft sich allein für dieses Jahr aber auf 3,18 Millionen Franken. Das ist doppelt so viel wie der Umsatz.
Recycling Services und Screen24 sind buchmässig überschuldet
Gravierender ist jedoch, dass beide Firmen riesige Verlustvorträge mitschleppen: Bei Screen24 sind es 4,9 Millionen, bei Recycling Services 2,8 Millionen Franken. Im Klartext: Beide Firmen sind buchmässig überschuldet. Die Revisionsfirmen akzeptierten darum die Abschlüsse erst, nachdem die beiden Gründungsaktionäre Piller und Scheuerer sowie weitere Beteiligte einen Rangrücktritt beziehungsweise einen Verzicht auf ihre Darlehen erklärten.
Bei Screen24 geschah dies allerdings nur mit Vorbehalt: Die Fortführung der Gesellschaft sei ohne neues Kapital «stark gefährdet respektive verunmöglicht», schreibt die Transcontag AG, die Revisionsstelle der Screen24. Zudem kritisiert die Transcontag, dass die Generalversammlung zum Geschäftsjahr 2018 erst im August 2019 stattfand. Laut Gesetz hätte sie spätestens im Juni 2019 abgehalten werden müssen. In diesem Jahr soll es laut Oliver Scheuerer gar «Anfang November» werden. Scheuerer ist der einzige Verwaltungsrat der Screen24. Schuld daran sei «ein Chaos in der Buchhaltung», sagt Scheuerer. Die gesamte Buchhaltung 2019 habe nochmals erfasst werden müssen.
Haussmann, die Revisionsstelle der Recycling Services, moniert, dass die Gesellschaft jahrelang eigene Aktien von den Gründungsaktionären zurückkaufte – mit einem Aufschlag von 9900 Prozent gegenüber dem Ausgabepreis. Das wäre laut Aktiengesetz nur zulässig, wenn das Unternehmen über freie Kapitalreserven verfügen würde – was nicht der Fall ist. Verwaltungsratspräsident Fredy Piller beantwortete keine Fragen von K-Geld.
Ähnliches geschah zum Jahreswechsel 2017/2018 bei Screen24: Im Rahmen einer Kapitalerhöhung kauften Piller und Scheuerer 3 Millionen Aktien für 5 Rappen pro Stück. Diese Anteile verkauften sie umgehend wieder an ihre Gesellschaft zurück – zum Preis von einem Franken. Den Sofortgewinn von 95 Rappen pro Aktien liessen sie als Darlehen in der Gesellschaft stehen. Scheuerer sagt gegenüber K-Geld, dieses Vorgehen habe man «aus bilanztechnischen Gründen gewählt, um eine Überschuldung zu vermeiden». Das Geld sei auf ein Sperrkonto geflossen und von dort «als Geschenk» zurück an die Gesellschaft. Die Revisionsstelle habe das Vorgehen akzeptiert.
Ein betroffener Investor sieht darin jedoch «eine klare Benachteiligung der übrigen Aktionäre». Diese zahlten für die Aktien 70 Mal mehr als das Duo Piller/Scheuerer. Der als «Rückschenkung» deklarierte Darlehensverzicht sei erst auf Druck der Revisionsgesellschaften erfolgt.
Der Investor ist nicht allein mit seiner Meinung: Anleger beauftragten mehrere Anwälte mit Zivil- und Strafklagen gegen die genannten Firmen und ihre beiden Gründungsaktionäre. Ein Zivilprozess ist bereits vor dem Bezirksgericht Höfe in Wollerau SZ hängig. Betroffene Investoren und Darlehensgeber wollen ihr Geld zurück. Denn ein Verkauf auf dem freien Markt ist praktisch ausgeschlossen. Immerhin verspricht Scheuerer, dass «jedem Verkaufswilligen ein faires Angebot» gemacht werde – «mindestens zum Einstandspreis». Ein Schreiben an den Finanzchef der betroffenen Firmen genüge. K-Geld bleibt dran und wird überprüfen, ob dieses Versprechen tatsächlich eingehalten wird.
Venstone: Aktienverkauf am Telefon
Die Venstone AG (vormals Belvoir Group) vermittelt Aktien aus dem Firmengeflecht von Fredy Piller und Olivier Scheuerer. Für den Verkauf der Start-up-Aktien erhält Venstone gemäss einer K-Geld vorliegenden Vereinbarung je nach monatlichem Umsatzvolumen hohe Provisionen von 25 bis 50 Prozent.
Giorgio Keller, Verwaltungsratspräsident der Venstone, bestreitet das. Keller leitete über drei Jahre lang die Recycling Services. Er erklärt, alleiniger Besitzer der Venstone AG zu sein. Anleger vermuten allerdings, dass Piller und Scheuerer an Venstone beteiligt sind und an den Vermittlungsprovisionen mitverdienen. Abklärungen der Finanzmarktaufsicht Finma ergaben allerdings «auf Basis der eingereichten Unterlagen» keine Hinweise darauf. Scheuerer verneint eine Beteiligung, Piller äussert sich nicht dazu.Piller war in der Vergangenheit aber regelmässig bei der Belvoir Group und Venstone anzutreffen. «Er tritt klar als Chef auf», sagen mehrere Venstone-Mitarbeiter aus. Sogar Anstellungsgespräche bis hin zum Geschäftsleiter führte Piller für Venstone. Er definierte die Anstellungsbedingungen des Geschäftsleiters und gab Verwaltungsratspräsident Keller Anweisungen. Das zeigen Dokumente, die K-Geld vorliegen. «Herr Piller hat Venstone beim Aufbau intensiv unterstützt», sagt Scheuerer dazu.
Gegen die Venstone AG liefen im Juni dieses Jahres Betreibungen und Pfändungen in der Höhe von rund 1,68 Millionen Franken, gegen Giorgio Keller persönlich über 1,4 Millionen Franken. Auch das bestreitet Keller.