Wohneigentümer kennen das: In ihren Briefkästen finden sie oft Werbematerial von Maklern, die sich für einen Verkauf der Immobilie empfehlen. In den letzten Monaten fielen K-Geld zwei Angebote ohne jegliche Verpflichtungen auf: Swiss Life Immopulse, die Immobilienvermittlerin des Versicherungskonzerns Swiss Life, lockt mit einer kostenlosen Immobilienschätzung «im Wert von 690 Franken». Und beim Maklernetzwerk Engel & Völkers gibts einen Gutschein für eine Marktbewertung im Wert von angeblich 1500 Franken.
K-Geld wollte wissen, was solche Gratis-Bewertungen taugen, und schickte beide Gutscheine an die Absender ein. Der Wohneigentümer hielt von vornherein fest, dass er sein Haus nicht verkaufen will und es ihm nur darum geht, den potenziellen Verkaufspreis zu erfahren.
Beide Maklerbüros melden sich und vereinbaren Besichtigungstermine. Vorher wünschen sie den Grundbuchauszug, Baupläne, den Gebäudeversicherungsausweis, eine Liste der getätigten Investitionen und Sanierungen sowie diverse Zahlen, zum Beispiel zur Wohnfläche oder Zimmerzahl.
Bei Swiss Life läuft alles sehr schnell ab. Bei der Besichtigung lässt sich eine Immobilienexpertin durch das Haus führen, stellt wenige Fragen und ist nach 20 Minuten wieder verschwunden. Bereits zwei Stunden später trifft per E-Mail der Schätzungsbericht ein. Für das einseitig angebaute 7,5-Zimmer-Einfamilienhaus in Neftenbach ZH kommt die Maklerin auf einen Realwert von 1047400 Franken. Eine zweite Schätzung erfolgt mittels der hedonischen Methode, die auch den Markt mitberücksichtigt (Kasten «Zwei verbreitete Schätzmethoden»). Mit dieser Methode kommt die Swiss-Life-Schätzerin auf eine Bandbreite von 1020000 bis 1120000 Franken. Als Verkaufspreis empfiehlt sie letztlich 1080000 Franken.
Schätzresultate in einer 70-minütigen Präsentation vorgeführt
Bei Engel & Völkers erscheinen zwei Expertinnen zum Besichtigungstermin. Sie stellen viele Fragen und schiessen zur Dokumentation diverse Fotos. Nach rund 30 Minuten schliessen sie den Rundgang ab und vereinbaren mit dem Hausbesitzer einen Präsentationstermin im Büro von Engel & Völkers in Winterthur.
Dort führen die beiden Expertinnen die Schätzresultate bei einer 70-minütigen Powerpoint-Show vor. Zunächst stellen sie Engel & Völkers vor und zeigen die aktuelle Wirtschaftsentwicklung. Danach folgen Analysen zum regionalen und lokalen Immobilienmarkt. Erst dann kommt der Fokus auf das bewertete Objekt. Die Expertinnen schwärmen von der «optimalen Besonnung», dem «praktischen Grundriss» und der «schönen Weitsicht von der Dachterrasse». Der Besitzer hat den Eindruck, dass man ihn davon überzeugen will, Engel & Völkers das Haus zum Verkauf zu überlassen. Alle Unterlagen werden dem Hausbesitzer am Schluss ausgehändigt.
Mit der Realwertmethode kommt Engel & Völkers auf 1060980 Franken. Das ist nur geringfügig mehr als bei der Schätzung von Swiss Life. Auf Basis der hedonischen Bewertung von bis zu 1,35 Millionen Franken empfiehlt Engel & Völkers aber einen klar höheren Verkaufspreis, nämlich 1,25 Millionen Franken. Das sind 170000 Franken oder fast 16 Prozent mehr als bei Swiss Life.
K-Geld hakt wegen dieser Differenz bei den Maklern nach. Andrea Keller von Engel & Völkers sagt, dass sie den empfohlenen Verkaufspreis keineswegs zu hoch angesetzt habe. Sie habe Erfahrung und Marktkenntnisse in die Schätzung einfliessen lassen und sei überzeugt, dass dieser Preis am Markt erzielbar sei. Zudem vermutet sie, dass Swiss Life die Immobilie qualitativ anders analysiert habe. Ein Vergleich der Bewertungsdetails zeigt: Tatsächlich stuft Swiss Life die Lage und den baulichen Zustand des Hauses tiefer ein als das Büro Engel & Völkers. Das kann einen Unterschied von mehreren Zehntausend Franken ausmachen.
Expertin Christina Peter von Swiss Life Immopulse führt die Differenz ebenfalls auf unterschiedliche Annahmen sowie Interpretationen des Marktes zurück. Sie sagt aber, dass sie «aufgrund der hohen Nachfrage nach Wohneigentum» den Verkaufspreis höher eingeschätzt habe als den Realwert. Allerdings: Die Nachfrage hält sie beim bewerteten Haus offenbar für gering. Denn der von ihr empfohlene Verkaufspreis übersteigt den Realwert nur gerade um 32 600 Franken oder 3 Prozent.
Eigentümer können ihre Immobilie auch übers Internet kostenlos schätzen lassen, statt sich Makler für eine Bewertung ins Haus zu holen. Maklerfirmen, Inserate- und Vergleichsportale, Hypothekenvermittler und auch Banken locken auf ihren Websites mit Bewertungsrechnern, die schnell und unkompliziert Ergebnisse liefern sollen. K-Geld verglich das Resultat acht solcher Preisrechner mit den Schätzungen von Engel & Völkers und Swiss Life.
Auf den Internetportalen müssen Interessenten einige Eckdaten zur Liegenschaft eingeben und in der Regel E-Mail-Adresse, Telefonnummer und weitere Informationen hinterlassen. Denn die Anbieter der Tools sind interessiert an persönlichen Daten und Liegenschaftsinformationen. Kein Wunder, dass kurz nach Benutzung der Rechner die ersten Anfragen von Toolbetreibern eintrudeln, ob Verkaufsabsichten bestünden.
Die Preisrechner arbeiten mit der hedonischen Schätzmethode und liefern in der Regel eine Bandbreite des geschätzten Wertes. Zum Vergleich hat K-Geld den Mittelwert dieser Preisbandbreite genommen. Auffällig: Diese Mittelwerte liegen im Verhältnis zu den persönlichen Schätzungen der Maklerinnen deutlich höher, aber teilweise sehr nah beieinander. So liefern Agent Selly, die Raiffeisen-App Casacheck und Immoscout24 Mittelwerte um 1,48 Millionen Franken. Das ist 18,4 Prozent über dem empfohlenen Preis von Engel & Völkers und sogar 37 Prozent über demjenigen von Swiss Life. Etwas tiefer fallen die Mittelwerte von Comparis, Moneypark, Neho und Brixel aus. Ein Ausreisser bei den Gratis-Rechnern ist jener von Homegate: Er liefert keine Bandbreite, sondern einen Wert: 1,21 Millionen Franken. Dieser liegt nahe beim Resultat von Engel & Völkers. Homegate greift auf die Angebotspreise der eigenen Immobilieninserate zurück und berechnet dann in einem Modellverfahren einen Marktwert.
Internetrechner: Wichtige Eckdaten bleiben unberücksichtigt
Bei den Gratis-Schätzungen im Internet handelt es sich um abgespeckte Versionen der hedonischen Werkzeuge von Unternehmen wie Wüest Partner, Iazi, Pricehubble oder Fahrländer Partner. Sie erfassen nur wenige Merkmale wie Wohn- und Grundstücksfläche, Standort oder Anzahl Zimmer. Der Ausbaustandard oder die Sanierungsbedürftigkeit der Liegenschaft werden kaum oder nicht berücksichtigt.
Die Anbieter sind sich dieser Schwächen bewusst: Raiffeisen sagt, dass Casacheck «auf spielerische Weise eine Ersteinschätzung» ermögliche. Immoscout24 erklärt, das Resultat diene «als Indikation des aktuellen Marktniveaus, ersetzt jedoch keine umfassende Bewertung». Agent Selly hält fest: «Es bleibt eine Schnellschätzung. Für eine genauere Bewertung schauen sich unsere Experten das Objekt vor Ort an.» Homegate sagt, dass die Bewertungen «keinen verbindlichen Charakter» hätten.
Von K-Geld angefragte Schätzungsexperten finden es nicht aus-sergewöhnlich, dass die empfohlenen Preise von Engel & Völkers und Swiss Life relativ stark voneinander abweichen. Laut Thomas Rinderknecht, ehemaliger Leiter Schätzungsabteilung des Hauseigentümerverbandes Zürich, liegen die Resultate innerhalb der Bewertungstoleranz. Bei der hedonischen Methode liege der Spielraum bei plus/minus 20 Prozent. Einen solchen Schätzwert könne ein Selbstverkäufer durchaus als Startpreis für Verkaufsverhandlungen verwenden.
Zwei verbreitete Schätzmethoden
- Hedonische Schätzung Bei dieser Methode werden einzelne Eigenschaften eines Wohnobjekts wie Lage, Wohnfläche oder Zimmerzahl erfasst und mit den Daten Tausender anderer Objekte verglichen. Auf Basis der Verkaufspreise ähnlicher Immobilien schätzen Computerprogramme in einem statistischen Verfahren den Wert des Hauses oder des Stockwerkeigentums. Diese Methode eignet sich für Standardimmobilien.
- Realwert-Schätzung Zur Ermittlung des Gebäudewertes erfasst man die gesamten Neubaukosten für die baulichen Anlagen inklusive Baunebenkosten und Umgebungskosten. Davon abgezogen wird die Altersentwertung. Hinzu kommt der aktuelle Landwert. Das ergibt den sogenannten Realwert einer Immobilie, auch Substanzwert genannt.