Für eine Appenzeller Lehrerin und viele andere Kleinanleger hat sich eine vermeintlich sichere Investition in ein Liechtensteiner Unternehmen als finanzielles Debakel erwiesen. Sie müssen mit hohen Verlusten rechnen.
Einige der Betroffenen hatten auf die Beratung der VVK Vorsorge- und Vermögenskonzepte AG vertraut: Die Firma aus Teufen AR brüstet sich auf ihrer Internetseite mit starken Partnern. Sie arbeite etwa mit dem Kaufmännischen Verband Schweiz zusammen, mit der Gewerkschaft Transfair, dem Personalverband des Bundes (PVB), der Journalistengewerkschaft Impressum und dem Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer. Deren Mitglieder würden von der VVK kompetent in Vorsorge- und Finanzfragen beraten, heisst es.
Martina Marti (Name geändert) aus Herisau AR wollte davon profitieren und holte sich im Herbst 2019 einen VVK-Berater ins Haus. Dieser machte die Lehrerin auf eine Anlagemöglichkeit aufmerksam, die in der Werbebroschüre als «bewährte Investition» angepriesen wurde.
Er empfahl ihr, in die Identec Group AG aus Liechtenstein zu investieren. Dafür solle sie für mindestens 10'000 Franken Obligationen der IDG Drei Anstalt aus Eschen FL zeichnen, also der Firma ein Darlehen geben. Marti erhalte im Gegenzug «attraktive Zinsen von 3,75 bis 4,75 Prozent», die jährlich ihrem Konto gutgeschrieben würden. Bis 2023 seien es konstant 3,75 Prozent Zins, danach werde er bis Ende der Laufzeit im Jahr 2027 stufenweise auf 4,75 Prozent steigen. Die Identec sei ein führender Anbieter der RFID-Technologie. Diese ermöglicht den kontaktlosen Datenaustausch und wird etwa in der Logistikbranche verwendet.
Darlehen ohne Sicherheit, hohe jährliche Abzüge
Martina Marti liess sich vom Berater überzeugen und kaufte Obligationen für 10'000 Franken. Dabei musste sie der VVK zusätzlich zum Kaufpreis eine Kommission von 150 Franken abliefern. Dazu kam eine «Abwicklungsgebühr» von ebenfalls 150 Franken.
Das war noch nicht alles: Denn für den Kauf der Identec-Obligationen musste sie bei der Bank Zweiplus zuerst ein «Investment Depot» eröffnen, dort das Geld einzahlen und die VVK als «Vermögensverwalterin» beauftragen. Die jährliche Depotgebühr der Bank Zweiplus von 0,19 Prozent und «Verwaltungsgebühren» der VVK von 0,8 Prozent kamen als wiederkehrende Kosten dazu. Der versprochene «attraktive» jährliche Zins von 3,75 bis 4,75 Prozent schrumpfte durch die hohen Kosten also jährlich um 0,99 Prozent.
Im dreiseitigen Vertrag, den Martina Marti unterschrieb, heisst es, sie sei «auf die Risiken» der Anlage namens «IDG Drei Anleihe CHF Flex II» hingewiesen worden. Im Vertrag steht: «Die verschiedenen Risiken sind ausführlich im Wertpapierprospekt beschrieben.» Der Inhalt dieses Prospekts hat es in sich. So erfährt man, dass die Identec Group AG für die Kapitalbeschaffung durch die IDG Drei Anstalt Obligationen im Wert von 10 Millionen Franken zum Abverkauf erstellt hatte und sämtliche Erlöse daraus nicht besicherte Darlehen darstellen.
Allfällige Investoren geben also ein Darlehen ohne Sicherheiten. Das Geld floss an die Identec Group AG, welche als Holding fungiert. Die Investoren erhalten keine Informationen darüber, wie die Holding die Gelder in der Gruppe verwendet. Die Obligationen sind an keiner Börse zugelassen. Das bedeutet: Sie lassen sich nur sehr schwer handeln, ein Verkauf wird so fast unmöglich. Geht die IDG Drei Anleihe in Konkurs, müssen Investoren mit einem Totalausfall der in die Anleihe investierten Beträge rechnen.
Hunderte Kleinanleger vom Konkurs betroffen
Die VVK vermittelte Marti nicht nur ausserbörsliche Obligationen der Identec, sondern auch weiterer Firmen. Insgesamt kaufte sie mit ihrem Ersparten Obligationen im Wert von 50'000 Franken. Sie glaubte, dank der VVK solide Investitionen getätigt zu haben.
Das gute Gefühl änderte sich schlagartig, als sie Ende Januar 2024 einen Brief der VVK mit dem Titel «Überraschende IDG-Zinsinformationen» erhielt. Darin schrieb die VVK, man habe sehr kurzfristig vom «Zinsausfall der IDG Obligationen erfahren». Konkret: Die Identec Group AG überweise die fälligen Zinsen und Rückzahlungen nicht mehr. Im Februar kam dann die niederschmetternde Nachricht: Die VVK sei «zu unserer grossen Verwunderung» darüber informiert worden, dass die Identec Group AG Insolvenz angemeldet habe – die Firmengruppe war also pleite. Die VVK gab sich zerknirscht: «Man sei schockiert und äusserst enttäuscht.» Hunderte von Kleinanlegern dürften vom Konkurs betroffen sein.
Die VVK schreibt K-Geld, alle Kunden seien über die Risiken aufgeklärt worden. Sie hätten den Erhalt der entsprechenden Prospektunterlagen bestätigt, und der Prospekt sei öffentlich zugänglich gewesen. Die Vergütungen habe die VVK transparent ausgewiesen.
Der Konkurs der Identec Group AG zeigt: Für Privatanleger sind Investitionen in Obligationen von Firmen, die nicht an der Börse kotiert sind, eine hochriskante Spekulation. Sie eignen sich nicht für einen sicheren langjährigen Vermögensaufbau.
Auch Schweizer Jungfirmen sammeln Geld mit Obligationen aus Liechtenstein
Die Verkäufer von Anleihen der Liechtensteiner Identec Group AG hatten vor allem Schweizer Kunden im Visier. Neben der Appenzeller VVK Vorsorge und Vermögenskonzepte AG vermittelte etwa auch die Zürcher Global Services Management AG Kunden an die Identec.
Schweizer Start-ups, die bei Privatpersonen Gelder einsammeln, benutzen dazu gern den Finanzplatz Liechtenstein. So zum Beispiel auch die Kräuterverkäufer der Greenstate AG aus Winterthur ZH. Deren Chef versucht, Kleinanlegern über einen Ableger im liechtensteinischen Triesen Obligationen zu verkaufen.
Ein Blick in den Wertpapierprospekt zeigt: Der Ableger gehört der Greenstate Schweiz, «was Interessenkonflikte mit sich bringen kann».