Banknoten kennt man in Peking nur noch von früher. Was nach einer Pointe klingt, ist seit Jahren Realität: Selbst der Bettler vor dem Supermarkt um die Ecke will von meinen Banknoten nichts wissen. Stattdessen verweist er auf seinen QR-Code auf einer Plastikkarte, die an seinem Hals baumelt.
In China lassen sich die meisten gesellschaftlichen Veränderungen im Zeitraffer beobachten. Für den Zahlungsverkehr gilt das ganz besonders. Es ist noch nicht lange her, da lautete der erste Rat in China-Reiseführern, man solle stets genügend Bargeld mit sich führen. Heute ist das Gegenteil der Fall: Die Renminbi-Scheine mit dem Mao-Tse-tung-Konterfei sind nutzlos geworden. Nur hartgesottene Überlebenskünstler können damit ihren Alltag noch meistern.
Ich habe das selber erlebt. Über ein halbes Jahr lang musste ich notgedrungen mit Bargeld vorliebnehmen. Denn die Eröffnung eines chinesischen Bankkontos liess auf sich warten. Nie zuvor in meinem Leben fühlte ich mich derart wie ein gesellschaftlicher Aussenseiter. In den meisten Cafés wurde ich mit meinem Papiergeld von vornherein abgewiesen, und selbst in populären Lokalen konnte mir die Bedienung nur selten Wechselgeld herausgeben. Wie auch? Ich war der einzige Kunde, der nicht per Handy zahlen konnte.
Der Grund: Nahezu alle Transaktionen erfolgen in China mit mobilen Zahldienstleistern wie AliPay und WechatPay. Man scannt mit der App einen QR-Code, gibt eine sechsstellige PIN ein – und fertig.
Kreditkarten setzten sich in China nie durch. Die Finanzbehörden sprangen vom Bargeld direkt zum digitalen Bezahlen. Entsprechend dominant ist das Zahlen per Smartphone. Fast alle Chinesen benutzen die App Wechat, um in Sekundenschnelle Flugtickets zu buchen, Handyguthaben zu laden, Taxis zu bestellen, Versicherungspolicen abzuschliessen und die Stromrechnung zu begleichen.
Die Nachteile dieses Bezahlsystems spüren auch die Touristen. Ich musste schon häufig verzweifelten Ausländern aushelfen, als sie erstaunt feststellten, dass ihre Banknoten und Kreditkarten in Peking wertlos sind. Immerhin haben die Behörden die Regeln im August ein wenig gelockert: Seither dürfen Touristen auch ihre Visa-Karten mit WechatPay und AliPay verknüpfen. Ein chinesisches Bankkonto benötigen sie nicht mehr.
Ich beobachte das bargeldlose China mit gemischten Gefühlen. Natürlich bieten die mobilen Zahldienstleister Komfort für Kunden und wirtschaftliche Möglichkeiten für Kleinhändler. Doch gleichzeitig öffnet diese Entwicklung der digitalen Überwachung Tür und Tor – nicht nur für grosse Techfirmen, sondern vor allem auch für den chinesischen Staat. Die Möglichkeit, auf Bargeld zurückzugreifen, ist eine Freiheit, die es in China de facto nicht mehr gibt.