Der Unternehmer Roger M. aus dem Kanton St. Gallen erhielt im November einen Anruf eines Aktienverkäufers der Zürcher Ortac AG. Er solle Aktien der Firma Scandiags Health Technologies Inc. mit Sitz in Kanada zeichnen, riet ihm der Verkäufer. Ab einer Zahlung von 20000 US-Dollar sei er dabei. Dem Firmeninhaber wurde sogar schmackhaft gemacht, Anteile von bis zu 4,8 Millionen Dollar zu kaufen. Das Geld für die Aktien sei nach Kanada zu überweisen. Die Scandiags entwickle mit führenden Schweizer Spitälern «auf künstlicher Intelligenz basierende Software», die Radiologen ermögliche, präzisere Diagnosen zu stellen.
Roger M. erhielt auf Anfrage eine 18-seitige Broschüre von Scandiags. Darin heisst es, der Schweizer Markt sei «erschlossen» und die Software von der Uniklinik Balgrist in Zürich «klinisch validiert». Abgebildet sind die Logos verschiedener Spitäler – etwa vom Spital Uster ZH, der Hirslanden-Gruppe, dem Kantonsspital St. Gallen, dem Luzerner Kantonsspital sowie der Uniklinik Balgrist.
Roger M. ist nicht der einzige Unternehmer, der solche Anrufe und die erwähnte Broschüre erhielt. Weitere Firmeneigner meldeten sich bei K-Geld und erzählten die gleiche Geschichte. In den E-Mails, welche die Ortac AG Interessierten schickt, behaupten die Aktienverkäufer zudem, Scandiags habe das «Proof of Concept» des Unispitals Zürich erhalten. Ein «Proof of Concept» ist keine Bestätigung, dass die Software funktioniert. Es bedeutet im Projektmanagement nur, dass die prinzipielle Durchführbarkeit eines Vorhabens belegt ist. Doch nicht einmal diesen Nachweis bestätigt das Unispital auf Anfrage von K-Geld: Ein Mediensprecher des Spitals erklärt, es bestünden mit Scandiags weder Aufträge noch Projekte oder Beteiligungen. Auch von einem «Proof of Concept» wisse man nichts.
«Nicht für den klinischen Einsatz geeignet»
Auch die Klinik Balgrist weiss auf Anfrage nichts von einer angeblichen klinischen Validierung der Scandiags-Lösung: «Die Universitätsklinik Balgrist hat keine klinische Validierung von Scandiags durchgeführt.» Man habe lediglich die diagnostische Genauigkeit bei der Erkennung von Meniskusrissen sowie von Rissen des vorderen Kreuzbands untersucht. Eine Mediensprecherin schreibt K-Geld zudem: «Die bei uns verfügbare Version der Scandiags-Produkte ist nicht für den klinischen Einsatz geeignet.» Scandiags habe das Logo der Uniklinik Balgrist ohne Absprache verwendet.
K-Geld fragte bei weiteren in der Broschüre aufgeführten Partnern von Scandiags nach, in welcher Beziehung sie zu der kanadischen Firma stehen. Das Spital Uster schreibt, es gebe einen Vertrag aus dem Jahr 2017, der von einem leitenden Arzt der Radiologie verantwortet wurde. Dieser habe das Spital 2019 aber verlassen. Die Klinik habe die Software für einen gewissen Zeitraum kostenlos benutzen dürfen. Zum Test oder zum Einsatz der Software sei es dann aber nie gekommen. Es seien auch keine Aufträge pendent oder geplant.
Beim Kantonsspital St. Gallen besteht ebenfalls eine «Vereinbarung zur Zusammenarbeit» von 2017, die jener beim Spital Uster ähnelt: Scandiags erhält anonymisierte Bilddaten. Die St. Galler wollen Scandiags «nächstens für eine erste Evaluation installieren». Darüber hinaus gebe es keine laufenden Aufträge. Auch das Kantonsspital Luzern sagt: Man habe anonyme Daten zur Verfügung gestellt und habe im Gegenzug das Recht erhalten, Scandiags bei Produktreife zu testen. Es seien keine Scandiags-Produkte im Einsatz.
Fazit: Es kann keine Rede davon sein, dass der Schweizer Markt von Scandiags «erschlossen» ist. Potenzielle Investoren müssen sich deshalb bewusst sein: Es handelt sich um eine riskante Anlage. Der Eigentümer der kanadischen Firma ist unbekannt, die Aktien werden nicht an der Börse gehandelt. Es wäre somit schwierig, die Anteile später einmal zu verkaufen.
Hinzu kommt das Risiko, dass sich bei Streitigkeiten der Gerichtsstand im Ausland befindet, nämlich in Kanada. Der Aktienverkäufer Ortac machte bereits in der Vergangenheit zu anderen Firmen Aussagen, die sich als falsch erwiesen – etwa zur Pharmafirma Altum Pharmaceuticals (K-Geld 3/2020).