Zweimal im Monat erfasst die Thailänder der Aberglaube. Dann suchen auch meine sonst ganz vernünftigen Bekannten in Bangkok nach versteckten Hinweisen auf eine Zahl, die ihr Leben verändern könnte: die Nummer des Gewinns im Staatslotto. Denn der Schlüssel zum Reichtum kann sich überall verstecken. In Autokennzeichen zum Beispiel, in den Abendnachrichten – und natürlich in Träumen.
Hin und wieder lasse ich mich von diesem Aberglauben anstecken. Einmal träumte ich davon, ich werde von einem Krokodil gejagt. Ein Freund wies mich auf eine Website hin, die darauf spezialisiert ist, nächtliche Eingebungen in Lottozahlen zu verwandeln. Das Internetprogramm hatte eine eindeutige Empfehlung: Ich sollte einen Lottoschein mit den Endziffern 359 kaufen – warum auch immer.
So ein Schein kostet umgerechnet rund Fr. 2.40. Für thailändische Verhältnisse ist das nicht wenig Geld: Der Preis entspricht etwa einem Viertel des Tageslohns eines Fabrikarbeiters. Die Nachfrage ist trotzdem gross: 20 Millionen Thailänder beteiligen sich regelmässig am einzigen legalen Glücksspiel des Landes. Der Spieler mit der richtigen sechsstelligen Zahl erhält sechs Millionen Baht – umgerechnet rund 180000 Franken.
Auf jedem Lottoschein ist eine bestimmte Zahlenfolge vorgedruckt. Wer nun eine konkrete Kombination vor Augen hat, muss oft Dutzende von Händlern an den Strassenrändern abklappern. Für einen Schein mit den Endziffern 359 suchte ich tagelang.
Der Lotto-Aberglaube zeigt mitunter seltsame Auswüchse. Als ein bekannter Blogger ein neues Auto kaufte, schlichen Nachbarn in seinen Vorgarten, um einen Blick auf das Kennzeichen zu erhaschen – sie sahen die Nummer als willkommene Inspiration. Manchmal wirds auch makaber: Nach einem schweren Verkehrsunfall mit 25 Toten gewann ein Lottoschein, der mit der Nummer 25 endete. Spieler, welche die Fernsehnachrichten nach magischen Ziffern durchforsten, sahen sich sofort bestätigt. Andere versuchen, die Gewinnzahlen in der Rinde von heiligen Bäumen zu erkennen. Dem Baum opfern sie zum Dank Blumen.
Mein Krokodiltraumtipp erwies sich übrigens nicht als Volltreffer. Die Suche nach der perfekten Eingebung lässt aber auch mich nicht mehr los. Kürzlich fand ich nach den Ferien 118 ungelesene E-Mails in meinem Postfach. Kann sein, dass ich damit auf einer heissen Spur bin.