Für viele Anleger war 2008 ein schlimmes Jahr. Die Talfahrt der Börsen riss Löcher ins Portfolio, die Verluste waren teils hoch. Auch die firmeneigene Pensionskasse der «Mettler Toledo» in Greifensee ZH verlor in diesem Jahr 13 Prozent an der Börse.
Da bekam der Stiftungsrat der Pensionskasse kalte Füsse. Er beschloss Ende 2008 rückwirkend, die Altersguthaben der rund 1700 Angestellten für das Jahr 2008 gar nicht zu verzinsen. Fachleute nennen das eine Nullzinsrunde – ein Vorgehen, das damals viele Pensionskassen angewendet haben.
Doch das zuständige Aufsichtsamt akzeptierte das Vorgehen der Firma Mettler Toledo nicht. Die BVG- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich (BVS) hob 2011 den Beschluss auf und verlangte von der Pensionskasse, die Altersguthaben der Versicherten «rechtskonform» zu verzinsen.
Nullzinsrunden nicht in jedem Fall verboten
Die Kasse wehrte sich dagegen bis vor Bundesgericht – und verlor. Am 16. Juli 2014 hat es entschieden: Die Stiftungsaufsicht ist im Recht, die Nullverzinsung war unverhältnismässig, deren Aufhebung durch das BVS zulässig. Jetzt muss die Pensionskasse den Versicherten für das Jahr 2008 einen Zins nachzahlen. Wie viel das sein wird – das hatte der Stiftungsrat der Pensionskasse bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht entschieden.
Das heisst aber nicht, dass Nullzinsrunden generell unzulässig wären. Gemäss Bundesgericht ist diese Massnahme sehr wohl erlaubt – allerdings «innerhalb bestimmter Schranken». Wo genau diese Schranken liegen, haben die höchsten Richter bis anhin bewusst nicht detailliert ausgeführt. Es komme immer auf den Einzelfall an. Zumal die Massnahme nur die noch aktiven Angestellten betreffe, aber nicht den Arbeitgeber.
Der Laie fragt sich: Wie ist eine Nullzinsrunde überhaupt möglich, wenn doch der Bundesrat jedes Jahr für Pensionskassenguthaben einen gesetzlichen Mindestzinssatz festlegt? Für 2008 lag dieser bei 2,75 Prozent (heute 1,75 Prozent).
Die Antwort: Bei den meisten Versicherten setzt sich das Altersguthaben aus zwei Komponenten zusammen:
- Der obligatorische Teil resultiert aus den gesetzlich vorgeschriebenen Lohnabzügen.
- Dazu kommt noch ein überobligatorischer Teil, der oft sogar grösser ist. Dies rührt im Wesentlichen daher, dass Gutverdienende und Teilzeiter höhere Sparbeiträge einzahlen als vom Gesetz vorgesehen.
Bei der Nullzinsrunde wird eine Art Taschenspielertrick angewendet: Die Kasse verzinst zwar formal das Obligatorium zum vorgeschriebenen Zins, zwackt ihn jedoch vom Überobligatorium ab. Das Total des Altersguthabens bleibt so gleich hoch, für das Überobligatorium ergibt sich daraus ein Negativzins.
«Anrechnungsprinzip»: Für Kritiker «ein Zinsenklau»
Faktisch zahlen damit die Versicherten den gesetzlichen Zins aus dem eigenen Sack. Die Branche nennt das Anrechnungsprinzip, Kritiker sprechen von Zinsenklau. Das Vorgehen führt zu einer Ungleichbehandlung der Versicherten, wie der Kasten oben zeigt.
Dass ausgerechnet das Zürcher Aufsichtsamt in einem solchen Fall eingeschritten ist, ist kein Zufall. Sein früherer Chef Erich Peter hatte öffentlich immer die Meinung vertreten, Nullzinsrunden seien nur bei einer Unterdeckung der Kasse erlaubt. Deswegen schritt er bei der Mettler-Toledo-Pensionskasse auch ein. Denn diese hatte Ende 2008 einen Deckungsgrad von 104,4 Prozent – also stattliche Reserven.
Jetzt sagt das Bundesgericht klar: Nullzinsrunden können auch bei Überdeckung verhältnismässig sein, wenn also der Deckungsgrad über 100 Prozent liegt. Es sei aber jeder Einzelfall aufgrund der «konkreten Begebenheiten» zu prüfen. Die Zulässigkeit lasse sich nicht «schematisch taxieren».
Deswegen hat das Bundesgericht im April 2014 im Fall der Swisscom-Pensionskasse Complan die Nullzinsrunde für 2010 erlaubt; die Kasse wies Ende 2010 einen Deckungsgrad von 101,4 Prozent auf.
Bei der Mettler Toledo hingegen hat es die Nullverzinsung bei 104,4 Prozent Deckungsgrad abgelehnt. Die Bundesrichter haben ausgerechnet: Hätte die Pensionskasse alle Altersguthaben der Angestellten mit 2,75 Prozent verzinst, wäre der Deckungsgrad trotzdem nur auf 102,5 Prozent gesunken.
Ende August 2014 hat das Bundesgericht nachgedoppelt. Es hat der Vorsorgestiftung der Basler Versicherung AG eine Nullverzinsung bei einem Deckungsgrad von rund 104 Prozent verboten.
Fazit: Pensionskassenversicherte müssen Nullzinsrunden nicht einfach schlucken. Es lohnt sich, eine solche Sanierungsmassnahme gerichtlich überprüfen zu lassen.
Die Nummern der drei erwähnten Bundesgerichtsurteile:
- 9C_114/2013 vom 9. 4. 2014 (BGE 140 V 169)
- 9C_91/2014 vom 16. 7. 2014
- 9C_24/2014 vom 29. 8 2014
Tipps: Deckungsgrad und Unterdeckung
- Wenn eine Pensionskasse gerade so viel Geld hat, dass sie sämtliche Verpflichtungen auf einen Schlag erbringen könnte, hat sie einen Deckungsgrad von 100 Prozent. Der Begriff «Sämtliche Verpflichtungen» umfasst im Wesentlichen alle Altersguthaben und Freizügigkeitsleistungen der Versicherten sowie Rückstellungen für die Bezahlung künftiger Renten.
- Bei einer aktuellen Unterdeckung ist die Kasse nicht etwa zahlungsunfähig, sondern sie könnte lediglich nicht sofort alle Leistungen auf einmal zahlen. Die laufenden Renten zum Beispiel sind bei einer Unterdeckung aber immer noch gesichert.
- Bei einem Deckungsgrad von beispielsweise 110 Prozent hat die Kasse eine Wertschwankungsreserve von 10 Prozent, um eine Börsenbaisse abzufedern bzw. um nicht in Unterdeckung zu geraten.
Stichwort: So verringert eine Nullzinsrunde das Überobligatorium
Ungleichbehandlung mit System: Eine wichtige Grundregel für die Pensionskassen ist die Gleichbehandlung der Versicherten innerhalb eines Betriebs. Bei der Nullzinsrunde wird dieses Prinzip verletzt, wie die Tabelle zeigt. Denn: Je grösser der Anteil des Obligatoriums am gesamten Altersguthaben ist, desto einschneidender wirkt sich eine Nullzinsrunde auf das Überobligatorium aus.
Das Verhältnis zwischen Obligatorium und Überobligatorium ist bei jedem einzelnen Versicherten innerhalb eines Betriebs anders. Die Tabelle zeigt: Macht der Anteil des obligatorischen Altersguthabens 20 Prozent aus, resultiert auf dem Überobligatorium eine Minusverzinsung von 0,44 Prozent (gerechnet mit dem aktuell gültigen gesetzlichen Zins von 1,75 Prozent).
Ist der Anteil des obligatorischen Altersguthabens hingegen 80 Prozent, werden auf dem Überobligatorium 4200 Franken «abgezwackt», das ist eine Minusverzinsung von 7 Prozent.