Die 94-jährige Esther Ingold (Name geändert) ist seit 30 Jahren pensioniert und lebt im Seniorenzentrum Tertianum in Zürich. Doch bald wird sie sich eine günstigere Bleibe suchen müssen. Denn die Kosten für die Unterkunft stiegen im Oktober 2022 um 5 Prozent. Ingolds AHV-Rente beträgt seit Januar dank einer Erhöhung um 2,5 Prozent knapp 2400 Franken. Die Rente aus der Pensionskasse hingegen stagniert bei 2500 Franken. Die Kaufkraft der Rente hat sich seit dem Jahr 1993 um einen Fünftel verringert: Die Rente ist also nur noch 2000 Franken wert. Ingolds Gesamteinkommen reicht deshalb nicht mehr aus, um den gewohnten Lebensstandard zu finanzieren.
UBS-Pensionskasse erhöhte 2022 die Renten
Vielen der insgesamt 1,2 Millionen Pensionskassenrentnern der Schweiz geht es ähnlich. Im letzten Jahr belief sich die Jahresteuerung auf 2,8 Prozent. K-Geld erkundigte sich bei 30 grossen Pensionskassen, ob sie den Kaufkraftschwund der Renten kompensieren. Unter den Befragten sind die Grossen des Vorsorgegeschäfts: etwa die Sammelstiftungen der Versicherer Axa (Rendita), Baloise, Swiss Life, Helvetia und Zürich (Vita), die öffentlichen Kassen BVK (Kanton Zürich), Publica (Bund) und SBB sowie jene der grössten privaten Arbeitgeber Coop, Migros, Post und UBS.
Die meisten der angefragten Pensionskassen verweisen darauf, dass ein Teuerungsausgleich laut Gesetz freiwillig ist – und dass Aktien, Obligationen und Immobilien im vergangenen Jahr an Wert verloren haben. Fast keine der befragten Kassen hat für 2023 die Renten erhöht. Eine Ausnahme ist die Kasse der UBS: Seit Mai 2022 erhalten einige Hundert Pensionäre, die in den Jahren 2019 bis 2021 ordentlich pensioniert wurden, eine lebenslang erhöhte Rente. Es handle sich um Rentnerjahrgänge, die jahrelang eine tiefe Verzinsung in Kauf nehmen mussten und dann mit kleiner Rente pensioniert wurden, sagt dazu die UBS-Pensionskasse. Und die Rentner der Migros-Pensionskasse erhielten Ende 2022 einmalig eine zusätzliche Monatsrente respektive mindestens 500 Franken.
Freiwilliger Ausgleich der Teuerung nur in Einzelfällen
Knausrig zeigten sich die Pensionskassen auch nach dem Börsenspitzenjahr 2021. Von den befragten Vorsorgeeinrichtungen liess lediglich die Pensionskasse Profond die Rentner mit einer Einmalzahlung von 1000 Franken an den üppigen Kursgewinnen teilhaben. Das glich bei vielen Rentnern immerhin die Teuerung des Vorjahres aus.
Braucht es bei der zweiten Säule eine gesetzliche Pflicht für den Kaufkrafterhalt der Renten – wie bei der AHV? Aus der Sicht der Pensionskassen besteht kein Handlungsbedarf. Nach geltendem Recht können sie allein bestimmen, ob sie den Rentnern den Teuerungsausgleich gewähren. Die Stellungnahme der Asga Pensionskasse, die in den vergangenen 20 Jahren nie einen Teuerungsausgleich zahlte, steht für die ganze Branche: Sie hält einen «freiwilligen Teuerungsausgleich für ausreichend».
«Rentner haben keine Stimme»
Das sieht der Gewerkschaftsbund anders. Die Neurentner der vergangenen zehn Jahre hätten bereits unter schlechteren Umwandlungssätzen gelitten, sagt Sprecher Urban Hodel. «Nun verliert ihre tiefere Rente auch noch durch die Inflation an Wert. Hier spitzt sich ein Problem zu.» Eine Anpassung des Gesetzes habe zurzeit aber keine Priorität.
Kaspar Saner, Vertrauensanwalt des Vereins Versicherte Schweiz, ortet das Problem auch bei der Organisationsstruktur der Pensionskassen. Über einen Teuerungsausgleich auf den Renten entscheidet der Stiftungsrat. Dieses Gremium muss laut Gesetz je hälftig aus Vertretern des Arbeitgebers und der Angestellten zusammengesetzt sein. Saner: «Rentner sind darin nicht vertreten, sie haben keine Stimme.»