Ein Unternehmer aus dem Kanton Schaffhausen war in finanziellen Schwierigkeiten. Er konnte Löhne und zahlreiche Rechnungen nicht mehr bezahlen. Da er schon über 60 Jahre alt war, durfte er sein Guthaben der 3. Säule von rund 222000 Franken als Alterskapital beziehen. Damit beglich er Schulden von total 140000 Franken. Das übrige Altersguthaben von fast 82000 Franken beliess er auf seinem Bankkonto.
Doch er machte neue Schulden. Und nach einer Betreibung pfändete das Betreibungsamt den ganzen Rest seines bezogenen Altersguthabens auf einmal. Das Obergericht Schaffhausen segnete das Vorgehen ab: Kapitalbezüge der Pensionskasse oder der 3. Säule seien vollumfänglich pfändbar, falls sie nicht der Vorsorge dienen. Der Mann habe mit dem Vorsorgegeld Schulden getilgt und es «mit dem übrigen Vermögen gemischt», heisst es im Urteil. Damit habe er das Alterskapital nicht für seinen «künftigen Lebensunterhalt» reserviert, sondern für andere Zwecke verwendet. Deshalb sei der verbliebene Rest unbeschränkt pfändbar.
Philipp Annen, Leiter des Betreibungsamts Plessur in Chur, berichtet von einem anderen Fall, bei dem eine unbeschränkte Pfändung – alles Geld auf einen Schlag – vorgenommen wurde: Ein Schuldner sei mit 350000 Franken Pensionskassenkapital nach Thailand gereist. Innert kürzester Zeit habe er 150000 Franken verbraucht. Als der Mann in der Schweiz zurückkehrte, kam es zur unbeschränkten Pfändung des Rests. «Hier diente das Kapital klar nicht der Vorsorge, sondern wurde viel zu schnell verbraucht. Somit haben wir alles gepfändet», sagt Annen.
Vorbezug fürs Auswandern ist voll pfändbar
Auch bei einem frühzeitigen Vorbezug des Pensionskassenkapitals ist eine vollständige Pfändung möglich. Falls jemand vorbezieht, weil er die Schweiz endgültig verlässt, ist die Auszahlung unbeschränkt und auf einen Schlag pfändbar, wenn das Geld nicht mehr der Vorsorge dient.
Dass das Betreibungsamt seine Hand auf einmal auf die ganze Summe legen kann, ist eher die Ausnahme. In den meisten Fällen dürfen Vorsorgegelder nur beschränkt – sozusagen scheibchenweise – gepfändet werden (siehe Kasten links). «Das ist immer dann der Fall, wenn das vorhandene Vorsorgekapital glaubhaft der Vorsorge dient», sagt Annen.
Als Beispiel erwähnt er eine Schuldnerin, die bar bezogenes Pensionskapital von 150000 Franken in mehreren Obligationen angelegt hatte. Sie hatten unterschiedliche Laufzeiten und wurden im Abstand von drei Monaten zur Rückzahlung fällig. So erhielt die Frau jeden Monat rund 2000 Franken zu ihrer Verfügung. «Das wurde nachvollziehbar für den laufenden Unterhalt verwendet», berichtet der Betreibungsbeamte. Also sei das Kapital bloss beschränkt pfändbar gewesen.
AHV-Rente ist fürs Betreibungsamt tabu
Grundsätzlich darf das Betreibungsamt alles frei angesparte Vermögen und auch die meisten Einkommensquellen pfänden. Bei Vorsorgegeldern aus den drei Säulen gilt Folgendes:
- Die AHV-Rente darf grundsätzlich nicht gepfändet werden.
- Die laufenden monatlichen Renten der Pensionskasse sind – zusammen mit den übrigen Einkünften, aber ohne AHV-Rente – beschränkt bis zum Existenzminimum pfändbar (siehe Kasten zum Existenzminimum).
- Barauszahlungen von Pensionskassen, Freizügigkeitskonten und 3. Säule sind beschränkt pfändbar, falls Sie der Vorsorge dienen. Doch es wird nicht alles auf einmal gepfändet. Das Amt muss das vorhandene Kapital in eine Rente umrechnen. Philipp Annen vom Betreibungsamt Plessur in Chur sagt: «Wir konsultieren das Bundesamt für Statistik und ermitteln die statistische Lebenserwartung des Schuldners. Das Kapital teilen wir dann durch die verbleibenden Lebensjahre.» Die so ermittelte Jahresrente darf bis zum Existenzminimum gepfändet werden.
So wird das Existenzminimum berechnet
In der Regel legt das kantonale Obergericht die Berechnungsgrundlagen für das Existenzminimum im jeweiligen Kanton fest. Im Internet finden Sie diese, indem Sie in der Suchmaske «Existenzminimum» und «Berechnung» sowie den jeweiligen Kanton eingeben.
Für die Berechnung des Existenzminimums werden die effektiven Einkünfte den anerkannten Ausgaben gegenübergestellt. Sind die Einkünfte höher, kann dieser Überschuss gepfändet werden.
Das Betreibungsamt kann noch weitere Kosten berücksichtigen, wie zum Beispiel Schulkosten der Kinder, höhere Gesundheits- oder Zügelkosten. Einige Kantone akzeptieren auch Steuerschulden als anerkannte Ausgaben.
Auf der Website der Caritas können Sie Ihr Existenzminimum selber berechnen: Caritas-schuldenberatung.ch/tools/existenz/index.php