Ein St. Galler Ehepaar bezieht sein Pensionskassenguthaben in der Höhe von 1,2 Millionen Franken als Kapital. Das Paar verfügt über genügend finanzielle Reserven und will das gesamte Kapital der zweiten Säule in Fonds anlegen.
Die AHV-Rente des Paars beträgt 40'000 Franken pro Jahr. Erzielt es auf den Anlagen durchschnittlich eine Rendite von 3,5 Prozent pro Jahr, kommen zur AHV noch Einnahmen von 42'000 Franken. Diese liegen also über dem AHV-
Einkommen. Das Ehepaar fragt sich deshalb, ob es Gefahr läuft, von der Steuerverwaltung als Wertschriftenhändler eingestuft zu werden.
Das wäre steuerlich von grossem Nachteil. Denn professionelle Wertschriftenhändler müssen Kapitalgewinne als Einkommen versteuern – wie das bei jedem Geschäftsgewinn von Selbständigen der Fall ist. Zusätzlich sind auf den Gewinn und auf Wertschriftenerträge AHV-Beiträge fällig. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein privater Anleger seine Anlagegeschäfte selber abwickelt oder ob er damit einen professionellen Vermögensverwalter beauftragt.
Mit diesen Kriterien gilt man nicht als Börsenprofi
Gesetzlich ist nicht festgelegt, wo die Grenze zwischen gewöhnlicher Verwaltung des Privatvermögens und gewerbsmässigem Wertschriftenhandel liegt. Deshalb ist die Rechtsprechung des Bundesgerichts für die Steuerverwaltungen von Bund und Kantonen massgeblich.
Die eidgenössische Steuerverwaltung hat im Jahr 2012 in einem Kreisschreiben fünf Kriterien genannt, die erfüllt sein müssen, damit Anleger nicht als gewerbsmässige Wertschriftenhändler eingestuft werden:
- Die Haltedauer der Wertschriften beträgt mindestens sechs Monate.
- Der Umsatz (Summe aller Kaufpreise und Verkaufserlöse) in einem Jahr beträgt nicht mehr als das Fünffache des Bestandes zu Jahresbeginn.
- Die Kapitalgewinne betragen weniger als die Hälfte der steuerbaren Einkünfte.
- Die Anlagen sind nicht fremdfinanziert, oder die steuerbaren Vermögenserträge (Zinsen, Dividenden) sind grösser als die entsprechenden Schuldzinsen.
- Der Kauf von Derivate (Optionen) beschränkt sich auf die Absicherung von Wertschriftenpositionen.
Ist eines dieser fünf Kriterien nicht erfüllt, kann laut der eidgenössischen Steuerverwaltung gewerbsmässiger Wertschriftenhandel nicht ausgeschlossen werden. Das erwähnte Kreisschreiben wendet sich laut Bundesgericht allerdings an Steuerämter, nicht an Steuerpflichtige. Deshalb sei sein Inhalt für Letztere «nicht rechtsverbindlich».
Aus mehreren Entscheiden des Bundesgerichts geht hervor, dass sich die obersten Richter bei der Abgrenzung der privaten Vermögensverwaltung zum professionellen Wertschriftenhandel vor allem auf die Höhe des Jahresumsatzes, die Aufnahme von Darlehen für den Kauf von Finanzprodukten sowie die Systematik des Vorgehens stützen. Von K-Geld angefragte Steuerexperten mehrerer Kantone bestätigen, dass die Steuerämter vor allem die Fremdfinanzierung von Anlagen gewichten.
Das zeigt: Das St. Galler Ehepaar muss aufgrund der Gerichtspraxis nicht befürchten, als Börsenprofis eingestuft zu werden. Es beabsichtigt bloss, sein Altersguthaben in Fonds anzulegen. Das Paar nimmt weder Fremdmittel auf, noch will es ständig Finanzprodukte kaufen und verkaufen. Daher spielte steuerlich auch keine Rolle, wenn das Einkommen des Paars aus der Vermögensanlage höher wäre als die AHV-Renten.
Bei der Anlagetätigkeit des Paars handelt sich aus rechtlicher Sicht offensichtlich um eine Verwaltung des privaten Vermögens, um mit dem Zusatzeinkommen den Lebensunterhalt bestreiten zu können – und nicht um eine selbständige Erwerbstätigkeit im Wertschriftenhandel.