Anleger Georges R. aus Winterthur kennt die Tücken des Anlagegeschäfts. Er ist informiert, er versteht, was er kauft, und er geht nur dosierte Risiken ein. Doch auch ihn hat es im Jahr 2008 kalt erwischt. Er hatte damals einen Barrier Reverse Convertible mit der UBS-Aktie als Basiswert. Weil die UBS-Aktie von rund 70 auf rund 10 Franken abstürzte, verlor er mit diesem Anlageprodukt 15 000 Franken.
Ein Barrier Reverse Convertible (BRC) ist eine Wette auf einen oder mehrere Basiswerte. Taucht einer der Basiswerte unter eine vordefinierte Grenze oder eben Barriere, verliert der Anleger Geld: Er erhält nicht mehr den Nennwert zurück, also nicht seine Anfangsinvestition, sondern bloss jene Aktien, die am tiefsten unter dem Anfangswert liegen, oder einen entsprechenden Barwert.
Viele Schweizer haben seither UBS-Aktien in ihrem Depot. Diese dümpeln zurzeit bei 16 Franken herum. Das hielt Georges R. nicht davon ab, weiter auf BRC zu setzen. Im Oktober 2011 kaufte er einen «Julius Baer Triple ICE Units» mit den Basiswerten Nestlé, Novartis und Roche. Das Produkt lief ein Jahr lang bis Oktober 2012. Er erhielt einen Jahreszins von 8,5 Prozent. Das schien eine attraktive Prämie zu sein, doch der Anleger hatte wieder Pech – einfach andersherum. Denn die Aktien der drei Basiswerte schossen während dieser einjährigen Zeitspanne in die Höhe: Nestlé um 20,81 Prozent, Novartis um 11,02 Prozent, Roche um 21,04 Prozent. Doch davon profitierte Georges R. nicht. Er erhielt nur den Anfangswert zurück plus die im Voraus fixierten 8,5 Prozent Zins. Hätte er mit seinem Geld direkt Aktien der drei Firmen gekauft, hätte er viel mehr verdient.
Starke Schwankungen an der Börse machen die Produkte unattraktiv
Das Auslassen von Gewinnchancen ist ein typisches Merkmal der Barrier Reverse Convertibles. Beispiel: Am 27. August 2014 ist ein BRC auf die vier Indizes SMI, Euro Stoxx 50, S&P 500 und Nikkei 225 abgelaufen. Dieser BRC startete im August 2013 und zahlte einen Jahreszins von 5,1 Prozent. Hätte ein Anleger mit Indexfonds (ETFs) direkt und gleichmässig zu je einem Viertel in die vier Indizes investiert, hätte er in derselben Zeitspanne eine Nettorendite von über 13 Prozent erzielt. Am stärksten stieg in dieser Zeit der Index S&P 500: Er legte von August 2013 bis August 2014 um 22,14 Prozent zu.
Damit ist klar: Wenn die Börsen sehr stark steigen oder sinken, sind BRCs trotz attraktivem Zins Gift für das Depot. Sie lohnen sich vor allem dann, wenn sich die Märkte nur gering nach oben oder unten bewegen oder auf gleichem Niveau verharren – was beim Abschluss niemand mit Sicherheit voraussagen kann. Entscheidend ist immer, wo genau die Barriere angesetzt ist. Weiter muss man bei BRCs folgende Punkte beachten:
Emittentenrisiko
BRCs gehören zur Anlageklasse der strukturierten Produkte. Im Grunde sind das – wie Obligationen – Darlehen an eine Bank. Die Rückzahlung kann nur erfolgen, wenn die Bank zahlungsfähig ist. Es besteht also ein Emittentenrisiko. Einen Einlegerschutz wie bei Bankkonten gibt es hier nicht, strukturierte Produkte sind auch keine geschützten Sondervermögen wie Anlagefonds. Es gibt zwar Produkte mit einer sogenannten «COSI»-Pfandbesicherung, doch auch die lässt das Emittentenrisiko nicht vollständig verschwinden.
Keine Diversifikation
Multi Barrier Reverse Convertibles lauten zwar oft auf mehrere Basiswerte, doch das Anleger-grundprinzip der Diversifikation («Nicht alle Eier in den gleichen Korb!») wird hier trotzdem verletzt. Denn nach einer Barrierenberührung bleibt der Anleger auf nur einem Titel sitzen. Der Kauf eines BRC hat mehr mit Spekulation zu tun als mit einer langfristigen Anlagestrategie.
Risiko unterschätzt
Studien zeigen, dass Anleger das Risiko, dass eine Barriere berührt wird, unterschätzen. Die Barrieren liegen mehrheitlich bei 80 bis 60 Prozent des Ausgangswerts. Beispiel: Kostet ein Basiswert, etwa eine Aktie, zu Beginn 100 Franken und liegt die Barriere bei 80 Prozent, so ist sie berührt, wenn die Aktie auf 80 Franken fällt.
Im Jahr 2008 haben in der Schweiz 60 Prozent aller Barrier Reverse Convertibles die Barriere berührt, im Jahr 2011 waren es 36 Prozent. In den vergangenen drei Jahren lag dieser Anteil bei 2 bis 5 Prozent (Angaben des Schweizerischen Verbands für Strukturierte Produkte). Bei höher liegenden Barrieren (zum Beispiel 80 Prozent) ist der Zins höher als bei tieferen Barrieren wie zum Beispiel 60 Prozent.
Hohe Kosten
Die Kosten von Barrier Reverse Convertibles sind völlig intransparent, Studien dazu gibt es nicht. Gemäss Schätzungen kosten BRCs den Anleger 2 bis 3 Prozent des Anlagewerts.
Hintergrund: So funktioniert ein Barrier Reverse Convertible
Wer einen Barrier Reverse Convertible (BRC) kauft, zahlt der Bank den Nennwert von beispielsweise 10 000 Franken. Die Bank verspricht dafür einen im Voraus fixierten Zins pro Jahr, der in jedem Fall gezahlt wird. Die Laufzeit ist fix, sie beträgt je nach Produkt ein bis vier Jahre.
Damit kombiniert ist eine Wette auf meist drei bis vier Basiswerte: Der Nennwert wird nach Ablauf der Laufzeit nur dann zu 100 Prozent zurückgezahlt, wenn die zugrundeliegenden Basiswerte während der Laufzeit nie unter eine vordefinierte Barriere von zum Beispiel 65 Prozent gefallen sind. Sonst wird derjenige Basiswert ausbezahlt, der am meisten gefallen ist.
Der Anleger erhält also die betreffende Aktie oder einen entsprechenden Barwert ins Depot. Eine solche Auslieferung ist für den Anleger mit einem empfindlichen Verlust verbunden.
Zur Veranschaulichung mögliche Szenarien mit einem BRC mit den drei Basiswerten A, B und C und einer Barriere von 75 Prozent:
- Die Barriere wurde nie berührt: Auszahlung des Nennwerts plus Zins.
- Basiswert A fiel zwischendurch unter die Barriere, hat sich aber wieder erholt, und alle drei Basiswerte notieren am Ende höher als zu Beginn: Auszahlung des Nennwerts plus Zins.
- Basiswert A fiel unter die Barriere von 75 Prozent und liegt am Ende bei 90 Prozent seines Ausgangswerts: Auszahlung von 90 Prozent des Nennwerts plus Zins.
- Basiswert A fiel zwischendurch unter die Barriere, hat sich aber wieder auf über 100 Prozent erholt, doch Basiswert B liegt am Ende bei 80 Prozent: Auszahlung von 80 des Nennwerts plus Zins.
Wenn Indizes den Basiswert bilden, erfolgt nach einer Barriereberührung jeweils eine vom tiefsten Kurs abhängige Barabgeltung. Ausnahme auch hier: Wenn eine Barriere berührt wurde, aber am Ende der Laufzeit alle Basiswerte über dem Wert liegen, den sie zu Beginn hatten, wird dennoch der Nennwert ausbezahlt (plus Zins).
BRCs auf mehrere Basiswerte heissen Multi Barrier Reverse Convertibles. Es gibt aber auch BRCs mit nur einem Basiswert.
Als Basiswert für solche Wetten kommt praktisch alles in Frage, was der Finanzmarkt zu bieten hat: Aktien, Devisen, Indizes, Edelmetalle oder Rohstoffe.
Barrier Reverse Convertibles sind strukturierte Produkte. Manuel Ammann, Professor für Finanzen an der Universität St. Gallen, sagte im Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Der durchschnittliche Anleger braucht keine strukturierten Produkte.»