Soll das Rentenalter erhöht werden?
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K-Geld 4/2003
27.08.2003
Peter Hasler - Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes
JA Wenn die Menschen im Durchschnitt alle zehn Jahre ein Jahr älter werden und länger Rente beziehen wollen, müssen mehr Beiträge einbezahlt werden. Dies muss eine aktive Generation tun, die in den nächsten Jahrzehnten zahlenmässig abnimmt. Die Mehrkosten werden ausserordentlich hoch sein. Man rechnet allein für die AHV mit 5 Mehrwertsteuerprozenten zusätzlich bis ins Jahr 2040. Dies würde bedeuten, dass die...
Peter Hasler - Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes
JA Wenn die Menschen im Durchschnitt alle zehn Jahre ein Jahr älter werden und länger Rente beziehen wollen, müssen mehr Beiträge einbezahlt werden. Dies muss eine aktive Generation tun, die in den nächsten Jahrzehnten zahlenmässig abnimmt. Die Mehrkosten werden ausserordentlich hoch sein. Man rechnet allein für die AHV mit 5 Mehrwertsteuerprozenten zusätzlich bis ins Jahr 2040. Dies würde bedeuten, dass die jüngere Generation immer stärker eine ältere Generation finanzieren müsste, deren Lebenssituation sich in den letzten Jahren nachhaltig verbessert hat. Dies würde auch bedeuten, dass die finanziellen Möglichkeiten der aktiven Generation zunehmend reduziert würden. Es ist deshalb sinnvoll, das Rentenalter parallel der steigenden Lebenserwartung anzupassen, um diese Beitragsbelastung für die erwerbstätige Bevölkerung wenigstens konstant zu halten. Damit kann vermieden werden, dass schlimmstenfalls die Renten gesenkt werden müssen.
Für die ältere Generation soll dies aber keine Beeinträchtigung an Lebensqualität sein. Die Erhöhung des Rentenalters auf 66 und später auf 67 Jahre soll mit einer grundlegenden Änderung unserer Lebens- und Arbeitsgewohnheiten einhergehen.
Es macht keinen Sinn, dass die Menschen alle zum gleichen Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben ausscheiden und damit von einer 100-Prozent-Stelle auf null Prozent Arbeitszeit gesetzt werden. Die berufliche Spannkraft lässt bei den Menschen sehr unterschiedlich nach. Sinnvoll ist deshalb ein flexibler Altersrücktritt, der möglichst stufenweise mit Teilzeitpensen nach eigenen Wünschen gewählt wird. Daneben sollen die Menschen auch unbezahlte Tätigkeiten im freiwilligen Bereich übernehmen, die ihnen das Gefühl sinnvollen Tuns und des Gebrauchtwerdens weiterhin geben. Die Gesellschaft wird auf diese freiwillige Arbeit zunehmend angewiesen sein.
Das Rentenalter wird damit nur noch zu einem Berechnungszeitpunkt und bedeutet nicht mehr uniformes Ausscheiden aus dem Beruf. Ein erster Schritt zur Erhöhung des Rentenalters kann sinnvollerweise ab 2010 erfolgen, ein zweiter Schritt ab 2020. Es ist deshalb völlig irrelevant, dass zurzeit die Arbeitsmarktsituation für ältere Mitarbeiter nicht besonders günstig ist. Selbst wenn die Wirtschaft nur ordentlich läuft, werden die schwachen Jahrgänge der Berufseinsteiger in den nächsten Jahren fast automatisch dafür sorgen, dass die Arbeitskraft der älteren Menschen wieder gesucht ist.
"Ein höheres Rentenalter kann vermeiden, dass schlimmstenfalls die Renten gesenkt werden müssen"
Paul Rechsteiner - Nationalrat, SP St. Gallen, - Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes
NEIN Die im Departement Couchepin angefertigten Studien beweisen es eigentlich: Der vorzeitige Altersrücktritt wird immer häufiger. Davon profitieren allerdings fast nur die hohen Einkommen und die Angehörigen ausgebauter Pensionskassen. Wer nur über die AHV und das Pensionskassenobligatorium abgesichert ist, hat diese Chance regelmässig nicht. Die vorzeitige Pensionierung ist, wie vieles, eine Frage des Geldes.
Die Diskussion um das Rentenalter verbindet sich mit der himmelschreienden Ungleichheit vor dem Alter und dem Tod: Wer sein Leben lang hart und zu einem tiefen Lohn gearbeitet hat, bei dem liegt die durchschnittliche Lebenserwartung unter 70 Jahren. Wer umgekehrt eine befriedigende Arbeit mit höherem Einkommen ohne allzu grosse körperliche Belastung ausüben konnte, der wird statt durchschnittlich fünf Jahre 15 bis 20 Jahre im Ruhestand leben. Die Bezüger höherer Einkommen können meist selber wählen, wann sie in den Ruhestand treten. Diejenigen mit tieferen Einkommen sind spätestens ab 55 Jahren regelmässig vom Arbeitgeber extrem abhängig. Aus finanziellen Gründen müssen sie, wenn sie nicht aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden, bis zum 65. Altersjahr durchhalten. Verlieren sie die Stelle, ist die Chance klein, in diesem Alter eine neue zu finden.
Die AHV schreibt im Gegensatz zu den grossen Versicherungsgesellschaften, die Milliarden in den Sand gesetzt haben, schwarze Zahlen. Die Angstpolitik von Bundesrat Couchepin, der mit Rentenalterserhöhungen bei der AHV droht, ist sozial blind und wirtschaftlich verantwortungslos. Sie verschärft die Politik weiter zugunsten der Reichen. Diese sind weniger auf die AHV angewiesen. Bei den Haushaltseinkommen von 5000 bis 6000 Franken ist die AHV aber die wichtigste Einnahmequelle.
Die Krise an den Kapitalmärkten hat gezeigt, dass die AHV nicht nur sozial, sondern auch bei der Finanzierung überlegen ist. Weil bei den Beiträgen auch die steigenden Einkommen erfasst und die Renten nach oben plafoniert sind, ist die AHV bei der Finanzierung der längeren Lebenserwartung leistungsfähiger als sämtliche Alternativen. Das bedeutet, dass man die AHV stärken muss statt sie zu schwächen. Dazu gehört, dass die Möglichkeit der Frühpensionierung auch für die unteren und mittleren Einkommen garantiert werden muss, statt ihnen mit einer Rentenalterserhöhung zu drohen. Der Schlüssel dafür liegt bei der AHV und nicht bei privaten Versicherungspolicen.
"Wer das Leben lang hart und zu einem tiefen Lohn gearbeitet hat, hat eine Lebenserwartung von unter 70 Jahren"