Steuereinschätzung darf nicht willkürlich sein
Wer keine Steuererklärung einreicht, wird vom Steueramt eingeschätzt. Es muss sich dabei auf möglichst realitätsnahe Zahlen stützen. Das hält das Bundesgericht in einem Urteil fest.
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K-Geld 05/2024
23.10.2024
Thomas Müller
Ein Ehepaar im Kanton Bern reichte über mehrere Jahre keine Steuererklärung ein. 2005 schätzte deshalb die Steuerbehörde das Einkommen des Paars auf 250'000 Franken und das Vermögen auf 4 Millionen Franken ein. Bis 2012 erhöhte das Amt die entsprechenden Beträge Jahr für Jahr, auf zuletzt 630'000 Franken Einkommen und 8,5 Millionen Franken Vermögen. Die Steuerrechnung erhöhte sich entsprechend von 104'000 auf 293'000 Franken. D...
Ein Ehepaar im Kanton Bern reichte über mehrere Jahre keine Steuererklärung ein. 2005 schätzte deshalb die Steuerbehörde das Einkommen des Paars auf 250'000 Franken und das Vermögen auf 4 Millionen Franken ein. Bis 2012 erhöhte das Amt die entsprechenden Beträge Jahr für Jahr, auf zuletzt 630'000 Franken Einkommen und 8,5 Millionen Franken Vermögen. Die Steuerrechnung erhöhte sich entsprechend von 104'000 auf 293'000 Franken. Das Steueramt holte sich das Geld zum Teil über Betreibungen.
So wurden Bankguthaben von 441'000 Franken gepfändet, ebenso grosse Teile des monatlichen Einkommens von 7300 Franken. Im Jahr 2012 ersuchte das Rentnerpaar um eine Revision der Veranlagungen und reichte die Steuererklärungen ab 2006 ein. Demnach sank das Einkommen bis 2012 auf 193'000 Franken und das Vermögen auf 2,3 Millionen Franken. Das Steueramt passte die Einschätzung entsprechend an, aber nur für die Zeit ab 2010. Für die Jahre zuvor verweigerte es eine Revision.
Das Paar wehrte sich bei mehreren Instanzen erfolglos gegen die Einschätzung. Das Bundesgericht hält nun aber fest: In den Pfändungsurkunden fänden sich Hinweise, «dass die Ermessensveranlagungen übersetzt ausgefallen waren». Das gelte umso mehr, als die Urkunden ausdrücklich vermerkten, es hätten keine weiteren pfändbaren Vermögenswerte festgestellt werden können. Doch das Steueramt habe die Beträge weiter erhöht, statt die Schätzungen für die Folgejahre nach unten zu korrigieren.
Laut den Richtern muss eine Ermessensveranlagung der Wirklichkeit und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen möglichst nahekommen. Es sei offensichtlich, dass das Amt zusätzlich eine Bestrafung des Ehepaars beabsichtigt habe, weil dieses mehrfach keine Steuererklärung eingereicht hatte. Das sei nicht zulässig. Deswegen seien die Einschätzungen für die Jahre 2006 bis 2009 nichtig.
Bundesgericht, Urteil 9C_673/2023 vom 19. August 2024