«Stromrechnung stieg um 1000 Prozent»
Inhalt
K-Geld 01/2018
07.02.2018
Karen Naundorf, Korrespondentin in Buenos Aires, Argentinien
Etwas stimmt nicht mit meinem Gefühl. Das wurde mir kürzlich bei einer Medienkonferenz bewusst. Der Regierungschef sagte in die Kameras: Die ständigen Preiserhöhungen in Argentinien seien ein «subjektives Gefühl». Vielleicht sollte ich gemeinsam mit meinen Freunden und all jenen, die nicht mehr über die Runden kommen, eine Gruppentherapie machen. Um unser Gefühl auf Regierungslinie zu bringen. Der Alltag spricht nämlich eine ganz a...
Etwas stimmt nicht mit meinem Gefühl. Das wurde mir kürzlich bei einer Medienkonferenz bewusst. Der Regierungschef sagte in die Kameras: Die ständigen Preiserhöhungen in Argentinien seien ein «subjektives Gefühl». Vielleicht sollte ich gemeinsam mit meinen Freunden und all jenen, die nicht mehr über die Runden kommen, eine Gruppentherapie machen. Um unser Gefühl auf Regierungslinie zu bringen. Der Alltag spricht nämlich eine ganz andere Sprache als die Regierung: Im Jahr 2016 wurde zum Beispiel der Strom um bis zu 1000 Prozent teurer. Und meine Gasrechnung stieg im letzten Jahr von 20 auf 118 Franken – das entspricht 490 Prozent.
Ich kann das glücklicherweise zahlen. Doch viele Argentinier nicht. Der Mindestlohn liegt bei umgerechnet 458 Franken für eine 48-Stunden-Woche. Vielleicht sollte der Regierungschef mal einen Supermarkt besuchen. Laut einer aktuellen Studie ist ein Einkauf in Buenos Aires 68 Prozent teurer als in Madrid. Selbst in New York sind Grundnahrungsmittel 8 Prozent billiger. Am besten kauft man mit prall gefülltem Portemonnaie ein. Denn Inflation heisst auch: mehr Scheine im Geldbeutel.
Jeder spart, wo er kann. Grillieren ist des Argentiniers liebstes Hobby. Im Gegensatz zu früher laden wir nur noch vier oder fünf Gäste ein. Der Grund: das teure Fleisch. Im Freundeskreis ist Essen gehen im Restaurant längst gestrichen – man trifft sich bloss zu einem Getränk. Und wenn eine Freundin behauptet, sie habe keine Lust auf Kino, bringt der Satz «Ich lade dich ein» die Freude am Film schnell zurück.
Damit es nicht so weh tut, werden hohe Beträge gerne verniedlicht. Etwa im Restaurant, wenn die Bedienung sagt: «Das kostet 500 Pesitos» (statt Pesos). Grosse Tageszeitungen empfehlen bei Temperaturen von fast 40 Grad Celsius: «Die neue Mode: Ventilator statt Airconditioning!» Klar, dass bei diesen Preisen der Stromfresser Klimaanlage aus der Mode kommt.
Die Regierung hat unterdessen weitere Preiserhöhungen angekündigt. Etwa 73 Prozent für den Bus, bis zu 110 Prozent für den Strom. Soviel zum «subjektiven Gefühl». Ich denke, die Gruppentherapie kann ich mir sparen.