Das erste Mal protestierte ich empört, als mir ein Kassierer statt Münzen eine Handvoll bunter Bonbons in die Hand drückte. Ich mag keine Bonbons. Aber die Bonbons ersetzten die Münzen. Ich steckte die Zückerli schliesslich in die Tasche und zog sie wieder hervor, sobald ich eines der zahlreichen bettelnden Strassenkinder traf.
Das war vor zwanzig Jahren. Damals grassierte in Brasilien die Hyperinflation. Neue Werte wurden mit roter Farbe auf die Banknoten gestempelt, weil so schnell keine neuen gedruckt werden konnten. Verständlich, dass sich da niemand mit Münzen abgeben wollte, die nicht einmal ihr Material wert waren.
Seitdem hat sich viel verändert. Der damalige Finanzminister und spätere Präsident Fernando Henrique Cardoso führte den anfangs an den US-Dollar gekoppelten Real ein. Der «Reelle», wie die neue Währung heisst, läutete eine Ära der wirtschaftlichen Stabilität und des Aufschwungs ein. Inzwischen gibt es viel weniger Strassenkinder – Millionen von Menschen haben die extreme Armut überwunden. Die Löhne stiegen um einen Drittel, und die Mittelschicht ist grösser denn je.
Brasilien ist heute so reich, dass die Bonbons als Wechselgeld ausgedient haben. Die Kassierer runden jetzt grosszügig ab, wenn kein Wechselgeld vorhanden ist. Daran habe ich mich so gewöhnt, dass ich beim letzten Besuch in Europa minutenlang nicht verstand, was ein Kassierer von mir wollte, der mich beharrlich und erwartungsvoll ansah. Ich hatte ihm doch soeben 52 Franken in die Hand gedrückt! Als der Mann irgendwann nachdrücklich auf seine Kasse deutete, verstand ich. Dort stand die Summe 52.05. Und er wollte offenbar tatsächlich nicht auf die lächerlichen fünf Rappen verzichten.
Vielleicht sollten die Brasilianer sich an solcher Ordentlichkeit ein Beispiel nehmen. Neuerdings macht das Wirtschaftswunder in Brasilien nämlich Pause. Manche reden davon, dass das Land sich mit den Riesenanlässen wie der Fussball-WM 2014 und den Olympischen Spielen 2016 übernommen hat. Sicher ist: Die Bonbons sind wieder da. Sie liegen direkt an der Kasse, manchmal sichtbar in kleinen Plastikbechern, manchmal unter der Theke in einer Schublade. Und in letzter Zeit fühlt es sich in meiner Tasche wieder öfter verdächtig klebrig an.