Fredy Hunziker (Name geändert) aus Meilen ZH ist ein erfahrener ehemaliger Finanzjournalist. Er verdient einen Teil seines Lebensunterhalts nun im Rentenalter mit dem Kauf und Verkauf von Wertpapieren. Der 73-Jährige ist ein neugieriger Mensch und auch auf Dating-Websites wie Seeking.com aktiv. In seinem Online-Profil gibt er sich als Wertschriftenhändler zu erkennen.
Vor einigen Monaten signalisierte ihm eine Frau namens Victoria über die Dating-Website, dass sie an einer Bekanntschaft mit ihm interessiert sei. Er liess sich darauf ein, obwohl die Dame angeblich in Nürnberg wohnt. Die beiden kommunizierten lange Zeit über Whatsapp, zeitweise gingen an einem Tag Dutzende Nachrichten und Fotos hin und her. Es ging dabei auch um intime Details, den persönlichen Alltag bis hin zu Kunst-Events.
Hunziker erwähnte dabei auch das eine oder andere Mal, dass ihn die Finanzmärkte auf Trab hielten. Eines Tages schrieb ihm Victoria, ihre Stiefschwester Anna sei in Amsterdam im Trading tätig, nachdem sie in London eine Ausbildung als Analystin absolviert habe. Anna verhelfe ihr immer wieder zu erfolgreichen Trades. Um das zu illustrieren, schickte sie Hunziker einen Screenshot ihres letzten Trades. Damit machte sie einen angeblichen Gewinn von 115,59 Prozent. Hunziker fragte nach, mit welchem Finanzinstrument die Sache abgewickelt worden sei.
Seine Bekanntschaft konnte die Fragen nicht beantworten und verwies ihn dafür an Anna – diese würde ihn via Skype kontaktieren. Das geschah dann auch sehr schnell. Anna stellte Hunziker die Internetplattform BinoTrader vor. Dort wurde mit CFDs gehandelt. CFD steht für den Handel mit Währungsdifferenzkontrakten.
Dieser Handel ist immer hochspekulativ. Man wettet auf Kursveränderungen von Währungen, also auf steigende oder fallende Kurse. Liegt man richtig, winken hohe Gewinne – liegt man falsch, drohen hohe Verluste, schlimmstenfalls ein Totalverlust.
Konto bei BinoTrader gibts nur via Kryptoplattform
Hunziker hatte vor Jahren mit mässigem Erfolg ein paar CFD-Trades beim britischen Handelshaus Interactive Brokers abgewickelt und damit eigentlich aufgehört. Durch den Hinweis auf BinoTrader wurde er aber wieder neugierig und wollte wissen, wie das genau abläuft.
Er entschied sich, probehalber ein Konto zu eröffnen. Anna zeigte ihm dann, wie vorzugehen ist: Eine Kontoeröffnung sei nur auf dem Umweg über die Kryptoplattform Coinbase möglich. Deshalb überwies Hunziker 1000 Euro auf sein Coinbase-Konto und leitete dieses dann weiter auf sein neu eröffnetes Wallet (Konto) bei BinoTrader. Von den 1000 Euro kamen dort nach Gebühren rund 950 Euro an – und er war bereit, ein paar Trades abzuwickeln.
Auf Skype rät der «Mentor», was man handeln soll
Anna erklärte, ihr «Mentor» David aus Trinidad habe Zugriff auf weltweite Marktinformationen und Analysteneinschätzungen. Dieser werde Hunziker empfehlen, was er kaufen oder verkaufen solle. Kurz darauf hatte Hunziker Kontakt mit diesem David – über Skype samt Videoübertragung. Davids erste Bemerkung zu Hunziker war: «Was? Bloss 950 Euro? So ein kleines Konto habe ich ja noch nie gesehen!»
Trotzdem zeigte er dem Schweizer einen ersten Trade mit dem Fremdwährungspaar australischer Dollar / US-Dollar per CFD. Einsatz: 600 der 950 Euro. «So let’s do it, wir skypen dann morgen wieder», meinte David – und verabschiedete sich bei Hunziker mit einem «Bye, Captain!»
Laut dem Protokoll von Hunzikers BinoTrade-Konto wurde dieser Trade ein Gewinn – genauso wie alle weiteren Trades, die ihm David in den folgenden Tagen empfahl.
Die anfängliche Erfolgsserie weckte das Misstrauen
Fredy Hunziker kam das seltsam vor. Eine solche Erfolgsserie ist zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber nach seiner langjährigen Trading-Erfahrung höchst unwahrscheinlich. Also begann er, die Details zu prüfen, und stellte bei mindestens zwei Trades fest: Die abgerechneten Kurse waren deutlich ausserhalb des Bereichs, den das Währungspaar am betreffenden Tag überhaupt erreichte. Das konnte er auf den Websites von Investing.com und Swissquote nachsehen. Zumindest der Verkaufspreis war eine Fälschung – und damit auch der von BinoTrader angeführte Gewinn. Ihm wurde klar: Er wurde in «monatelanger Arbeit» von Victoria auf der Datingseite für die manipulierte Trading-Plattform BinoTrader weichgekocht.
Dass BinoTrader unseriös ist, zeigen verschiedene Warnsignale. Erstens wird auf der Website behauptet, BinoTrader sei von der Finanzindustrie reguliert. Die Firma ist angeblich auf Mauritius eingetragen, einem Inselstaat im Indischen Ozean. Als Adresse gibt BinoTrader eine Strasse in der österreichischen Stadt Graz an. Bei der österreichischen Finanzmarktaufsicht FMA ist ein solches Unternehmen aber nicht bekannt.
Wer hinter BinoTrader steckt, ist ebenfalls ein Geheimnis. Ein weiteres Warnzeichen: Die Website wurde anonym registriert. Niemand kann also nachprüfen, wer dahintersteckt.
Nach seinen Entdeckungen wollte Hunziker «das Abenteuer» beenden und möglichst viel vom angeblich gestiegenen Kontoguthaben abheben. 300 Euro erhielt er ohne Weiteres zurück. Die restlichen 913 Euro wurden ihm von BinoTrader verweigert, mit der fadenscheinigen Begründung, er habe noch Trades offen und dafür brauche BinoTrader «finanzielle Sicherheiten». Seit Hunziker dem BinoTrader-Support zurückschrieb, er habe keine offenen Trades und wolle das Konto auflösen, reagiert niemand mehr.
Fredy Hunziker ist sein Spielgeld los. Seiner Victoria schrieb er noch: «Du hast Deine Rolle perfekt gespielt – aber wohl etwas weniger Profit erhalten, als Du erwartet hattest.» Daraufhin brach auch der Kontakt zur schönen Dame aus Nürnberg ab.
So funktioniert der Tinder-Trading-Betrug
Von «Tinder-Trading-Scam» wird gesprochen, wenn Opfer auf Datingseiten wie hier Seeking.com oder Tinder kontaktiert werden, um sie später um ihr Geld zu erleichtern. Die Täter bauen eine emotionale Bindung zu ihren Opfern auf und verleiten sie zum Handeln auf betrügerischen Trading-Websites wie BinoTrader.
Haben die Täter genug Geld ergaunert, brechen sie den Kontakt ab. Die Masche ist in China unter der Bezeichnung «Sha Zhu Pan» bekannt, was den Vorgang beschreibt, ein Schwein vor dem Schlachten zu mästen.
Das Perfide an der Masche ist nicht nur der finanzielle Schaden, sondern dass die Opfer sich danach auch emotional betrogen fühlen. Der Cybercrimepolice der Kantonspolizei Zürich ist diese Art von Betrug bekannt. In diesem Bereich sei «eine steigende Tendenz von Fallzahlen» festzustellen. Genaueres gibt die Polizei nicht bekannt.