Oksana Rischko arbeitet in einem Waisenhaus für behinderte Kinder in Wilschany im Südwesten der Ukraine. Das kleine Dorf in der Region Transkarpatien liegt in den Bergen, auf der von bröckelndem Asphalt bedeckten Strasse fährt pro Tag nur ein Mal ein Bus. Als die Ukraine noch ein Teil der Sowjetunion war, gründete man Waisenhäuser oft an abgelegenen Orten wie diesem. Das Heim in Wilschany wurde in den Sechzigerjahren gebaut.
Die Kinder kommen von überall her, das Personal stammt meist aus den Nachbardörfern. In dieser Gegend gibt es nur wenig andere Arbeit. Die Männer sind häufig in der Stadt oder im Ausland tätig. Die Region Transkarpatien liegt nahe der rumänischen, der slowakischen und der ungarischen Grenze: Von hier aus ist es nur ein Katzensprung in die Europäische Union.
Oksana Rischkos Kinder arbeiten alle in Tschechien. Während der Sommerferien ist die 46-Jährige ebenfalls dort tätig, meist in der Landwirtschaft. Der Leiter des Waisenhauses gibt seinen Mitarbeitern ein paar zusätzliche Wochen Ferien, schliesslich müssen sie ihr Einkommen mit der Saisonarbeit im Ausland aufstocken. Rischkos Monatslohn im Waisenhaus beträgt umgerechnet knapp 200 Franken. Das reicht nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Früher arbeiteten hauptsächlich die Männer im Ausland. Sie kehrten alle paar Monate ins Dorf zurück, um Zeit mit der Familie zu verbringen. Nach dem Beginn des Kriegs im Februar 2022 wurde es gefährlich, nach Hause zurückzukehren: Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen nicht ausreisen, sie können zudem jederzeit einberufen werden. Einige Frauen haben ihre Ehemänner seit über zwei Jahren nicht mehr gesehen. Andere Frauen folgten ihren Männern ins Ausland.
Viele Männer im wehrpflichtigen Alter verstecken sich zu Hause und gehen nicht arbeiten. Der Leiter des Waisenhauses muss heute Rentner einstellen, selbst für den Wächterposten. Nur für Männer, die zu alt sind, um zur Armee eingezogen zu werden, ist es noch sicher, einer Arbeit nachzugehen. So müssen die Frauen die meisten Aufgaben selbst erledigen. Oksana Rischko versteht das: Wären ihre Söhne nicht in Tschechien gewesen, hätte sie ihnen auch gesagt, dass sie untertauchen sollen.
Oksana Rischko hofft auf ein baldiges Kriegsende. Sie ist müde: Alles wird immer teurer, auch die Kriegssteuer wurde kürzlich erhöht. Viele Infrastrukturprojekte wurden gestoppt, unter anderem die Sanierung der alten Dorfstrasse. Aber Rischko weiss: Es gibt andere Prioritäten im Land. Kürzlich hörte sie von Plänen der Nationalbank der Ukraine, die Kleinmünzen umzubenennen: Statt russisch mit «Kopeke» bezeichnet zu werden, sollen sie neu «Schah» heissen. Das kann Rischko nicht verstehen. Sie zweifelt, dass diese Umbenennung die Wirtschaft stärken und ihr Leben verbessern wird.