Wenn ein mexikanischer Polizist einen Autofahrer stoppt und den Wagen beschlagnahmt, erhält der Betroffene später möglicherweise nur noch die Karosserie zurück. Bekannte berichten, wie sie ihr Fahrzeug nach einer Beschlagnahme im Hof der örtlichen Polizei vorfanden: ohne Reifen, ohne Scheinwerfer, ohne Kühler, ohne Stossstangen. Eine Freundin erzählte vom VW-Käfer ihrer Eltern, bei dem der Motor fehlte. Grund: Jedes verkaufte Ersatzteil bringt einem Polizisten ein paar Pesos ein. Mexikanische Ordnungshüter verdienen sehr wenig und arbeiten oft mit Kleinkriminellen zusammen.
Was also tun, wenn Verkehrspolizisten einen Stopp anordnen, weil man nicht angeschnallt war, bei Dunkelgelb über die Ampel fuhr oder die Beamten Geld für ein paar Tortillas brauchen? Der Zaubersatz heisst: «Wie lösen wir das jetzt?» Es folgt ein Ritual, das jeder Mexikaner beherrscht. Die Polizisten zücken ein Buch und zeigen auf Paragrafen. Demnach führe das Vergehen zu einer saftigen Geldstrafe. Dann suchen die «Geschäftspartner» einen diskreten Ort. Dort wird verhandelt. Am Schluss einigt man sich auf einen Betrag, verabschiedet sich freundlich und fährt davon.
Meine Frau wurde gestoppt, weil sie an einem Tag mit dem Auto fuhr, an dem dies wegen hoher Luftverschmutzung nicht erlaubt war. Alles lief wie immer. Zum Abschied gab der Polizist meiner Frau ein Stück Papier. Darauf hatte er «X9» notiert. Nur für den Fall, dass sie erneut kontrolliert werde. «Zeigen Sie den Zettel, dann können Sie problemlos weiterfahren.»
Die Geschichten über «Mordida» – zu Deutsch «Biss», wie das Schmiergeld genannt wird – klingen lustig. Aber sie sind Mexikos grösstes Problem: Beamte und Militärs lassen sich bestechen, damit sie bei Drogentransporten wegschauen. Politiker kassieren riesige Summen, wenn sie Bauprojekte den «richtigen» Unternehmen zuschanzen. Mafiabosse bleiben straflos, weil Richter von deren Überweisungen leben.
Manche Mexikaner weigern sich, bei Kontrollen «Mordida» zu zahlen. Tatsächlich geben Polizisten ab und zu klein bei. Und wenn nicht? Nun ja, vor den Polizeistationen, an denen die Mexikaner ihre abgeschleppten Wagen abholen, bieten Ersatzteilhändler Reifen, Stossstangen oder Motoren an, die genau zu ihrem Wagen passen. Die Teile wurden ja gerade erst dort abgeschraubt.