Catherine Debrunner hat ihr 20-Prozent-Pensum als Primarlehrerin in Waltenschwil AG vor den Sportferien aufgegeben. Sie konzentriert sich bis zu den Paralympischen Sommerspielen in Paris 2024 voll auf den Sport. Debrunner ist Spitzensportlerin. Ihre Disziplinen sind Rollstuhlrennen über 400, 800 und 1500 Meter.
Die 26-jährige Thurgauerin ist seit ihrer Geburt querschnittgelähmt. Sie kam mit einem Tumor an der Wirbelsäule auf die Welt, der die Paraplegie verursachte. Das hinderte sie aber nie daran, ihre Leidenschaft auszuleben, die Bewegung an der frischen Luft. Die Freude am Sport habe sie von ihrem Vater, sagt sie. Aber möglicherweise sei dies auch eine Reaktion auf ihre Behinderung. «Der Sport hilft mir, mein Handicap zu akzeptieren.»
Dieser Kampfgeist prägte Debrunner. In einem Sportlager im Paraplegikerzentrum in Nottwil LU lernte sie den Rennstuhlsport kennen und war sogleich fasziniert davon. Sie genoss es, auf der 400-Meter-Bahn Runden zu drehen oder mit ihrem Vater durch die Gegend zu kurven. Sie begann zu trainieren. Bald stellten sich erste Erfolge ein. Mit elf Jahren bestritt sie in Irland ihre erste Juniorenweltmeisterschaft. Zwei Jahre später, an der Junioren-WM in New York, gewann sie fünf Goldmedaillen und wurde als U16-Athletin mit dem grössten Potenzial ausgezeichnet. Das weckte ihren Ehrgeiz. Sie intensivierte ihr Training, nahm an mehr Wettkämpfen teil, besuchte Trainingslager, auch im Ausland. Sie genoss die Reisen, die Treffen mit Leuten aus verschiedenen Ländern, die fremden Sprachen.
Aber sie wusste auch, dass sie eine gute Ausbildung benötigte. «Wer eine Randsportart betreibt, kann kaum je davon leben.» Sie machte die Matura und bildete sich zur Primarlehrerin aus. Seit acht Jahren fährt sie bei den Weltbesten. An der Weltmeisterschaft in Doha 2015 holte sie ihre erste Medaille: eine silberne über 200 Meter. An der WM 2019 in Dubai gewann sie Gold und Silber und im vergangenen Jahr in Tokio Gold und Bronze.
Doch trotz ihren Erfolgen kommt Debrunner finanziell gerade so über die Runden. Wie viel sie pro Jahr genau verdient, will sie nicht sagen. «Ich betreibe meinen Sport nicht wegen des Geldes. Sonst müsste ich aufhören. Ich bin tendenziell immer leicht im Minus.» Debrunner schreibt oft Firmen an für ein Sponsoring und erhält immer wieder Absagen. «Ein Traum wäre ein Sponsor für den Rennrollstuhl. Er ist mit Kosten von 13 000 Franken sehr teuer.» Aber auch ein Kleidersponsor fehlt ihr noch.
Catherine Debrunner findet es ungerecht, dass die Prämie für eine Goldmedaille an den Paralympics deutlich tiefer ist als jene für eine Goldmedaille an den Olympischen Spielen: 12 000 Franken im Vergleich zu 40 000 Franken. Dieses Geld kommt von Swiss Olympic. «In Frankreich sind die Prämien gleich hoch. Die Schweiz ist in der Anerkennung des Behindertensports weniger weit als unsere europäischen Nachbarn.»
Trotzdem verzichtet Debrunner im Hinblick auf die Spiele in Paris 2024 auf ihr Pensum als Lehrerin. «Mit der Unterstützung der Sporthilfe, des Verbandes und von Sponsoren sollte es reichen.» Im Herbst beginnt sie voraussichtlich die Rekrutenschule für Spitzensportler. Dort kann sie als «Sportsoldatin» ihren Militärdienst leisten und gleichzeitig gegen Bezahlung für ihren Sport trainieren. Vermutlich erhält sie den Mindestansatz von 65 Franken pro Tag, pro Monat also einen Lohn von rund 1950 Franken. Sie darf die Sportrekrutenschule übrigens ausnahmsweise absolvieren, obwohl sie schon über 25-jährig ist. «Das ist finanziell interessant und eine einmalige Chance, vom Sport leben zu können», sagt sie dazu.
Dieses Jahr bestreitet Catherine Debrunner zudem ihr erstes Marathonrennen. «Marathons sind, abgesehen von den Paralympics und der WM, die einzige Disziplin, bei der man Geld verdienen kann. Die Veranstalter zahlen ein Preisgeld, für die Siegerin gibt es bis zu 20 000 Franken brutto. Und wer zu den Favoriten zählt, wird an den Wettkampf eingeladen.»