Renate Widmer (Name geändert) aus dem Zürcher Unterland ist pensioniert. Sie entschied sich vor vier Jahren für das Vermögensverwaltungsmandat «Classic Balance» bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Im Jahr 2020 investierte sie 400'000 Franken, ein Jahr später zahlte sie weitere 400'356 Franken ein, insgesamt also 800'356 Franken.
Die ZKB legte den Betrag in Wertschriften an. Ende 2023 betrug der Depotwert noch 752'205 Franken – also 48'151 Franken weniger, als Widmer eingezahlt hatte. Im Anlagereport vom 31. Dezember 2023 wies die Bank über die Zeitspanne von 2020 bis 2023 aber eine durchschnittliche Bruttojahresrendite von 2,96 Prozent aus. Selbst nach Abzug der Kosten für Vermögensverwaltung und Steuern blieb die Jahresrendite im Anlagereport positiv. Wie ist das möglich?
Zeitgewichtete Rendite ist nicht die wirkliche Rendite
Die Erklärung steht im Kleingedruckten auf der letzten Seite des Anlagereports. Unter «Renditeberechnungsmethodik» findet sich dort die Abkürzung «TWR». Sie steht für «time-weighted return», auf Deutsch: zeitgewichtete Rendite. Sie wird in Prozent angegeben und misst den Erfolg eines Wertschriftendepots. Die TWR lässt Ein- und Auszahlungen ausser Acht. Diese beeinflussen zwar den Depotwert per Ende Jahr wesentlich, aber nicht die Entwicklung der Anlage.
Die zeitgewichtete Rendite ist in den meisten Depotauszügen zu finden. Mit der angegebenen Zahl lassen sich verschiedene Anlagestrategien oder Wertschriftendepots vergleichen, auch in Bezug auf einen Vergleichsindex. Und sie zeigen die Leistung des Vermögensverwalters. Nachteil: Die zeitgewichtete Rendite weicht von der tatsächlichen Wertentwicklung des Depots ab, insbesondere bei stark schwankendem Kapital. Die TWR sagt also nur bedingt etwas über den Gewinn oder den Verlust eines Depots aus. Dieses kann trotz positiver zeitgewichteter Rendite an Wert verlieren.
Zum Berechnen der zeitgewichteten Rendite wird der Anlagezeitraum in Teilperioden zwischen Kapitalzuflüssen und -abflüssen unterteilt. Für jede Periode wird die Rendite berechnet, indem man den Depotwert am Ende der Periode durch den Depotwert am Anfang der Periode teilt. Liegt der Wert über 1, ist die einfache Rendite dieser Periode positiv – liegt er hingegen unter 1, ist sie negativ. Die zeitgewichtete Rendite ergibt sich aus der Multiplikation der einfachen Renditen aller Teilperioden minus eins.
Renate Widmer vordoppelte das Vermögen in ihrem Depot wie erwähnt mit einer zweiten Einzahlung von 400'356 Franken. Darauf folgte 2022 ein schlechtes Börsenjahr mit einem Wertverlust von rund 15 Prozent. Entsprechend verlor das Depot stark an Wert und konnte diesen Verlust selbst im positiven Börsenjahr 2023 nicht wettmachen. Hätte Widmer das Geld erst Anfang 2023 eingezahlt, also in einem Jahr mit positiver Entwicklung, wäre der umgekehrte Fall eingetreten: Die zeitgewichtete Rendite wäre immer noch die gleiche – die tatsächliche Wertentwicklung läge aber darüber.
Für viele Bankkunden ist die zeitgewichtete Rendite weniger von Bedeutung als die tatsächliche Rendite ihrer Anlage. Weshalb fehlt dieser Wert auf dem Depotauszug per Ende Jahr? Dazu sagt Adrian Vonlanthen, Mediensprecher der ZKB: «Die TWR ist eine Renditeberechnung, die sich sowohl national als auch international als Standardmethode etabliert hat. Daher beschränkt sich die ZKB auf diese Kennzahl und weist im Anlagereport die effektive Vermögensveränderung nicht zusätzlich in Prozent aus.»