Am 20. Februar erhielt ich folgendes kurzes E-Mail, ohne Betreff, ohne Anrede, ohne Grussformel: «Wir wurden von der Entschädigungskommission der Vereinten Nationen (UNCC) autorisiert, Ihr Entschädigungsgeld in Höhe von 1.000.000,00 Euro an Sie freizugeben, E-Mail: uncfcompensationfunds2022@gmail.com».
Ich antwortete von meiner Alias-Mailadresse als Pietro Hafner genauso kurz: «Guten Tag, wie komme ich an mein Entschädigungsgeld? Freundliche Grüsse, Pietro Hafner.» Ein paar Tage später kam die Antwort: Grund für die Entschädigungszahlung sei die Corona-Pandemie. Die Uno sei sich des enormen Schadens bewusst, den die Pandemie der Wirtschaft zugefügt habe. Ich hätte das Glück, zu den Menschen zu gehören, die dieses «Stipendium von der UN-Nation» erhalten würden. Ich müsse bloss Namen, Land, Telefonnummer, Ausweis und Beruf angeben. Das machte ich umgehend.
Der mutmassliche Betrüger antwortete gleichentags. Ich solle mich mit der im Mail angegebenen «geheimen Referenznummer» an den Lohnbankbuchhalter bei der Westamerikanischen Bank unter Westamericabankk@gmail.com (mit zwei k) wenden. Meine Entschädigung sei bereits dorthin überwiesen worden.
Eine Gebühr von 350 Euro ist alles, was noch fehlt
Das tat ich. Ein John Walker der «Bankk» antwortete mir. Er schrieb, was mir passiert sei, tue ihm leid. Er sei von Anthony General von den Vereinten Nationen angewiesen worden, das Geld zu überweisen. Er fragte mich nach weiteren Angaben, unter anderem erneut nach meiner Telefonnummer und meiner Kontonummer.
In einem folgenden E-Mail verlangte John Walker wieder meine Telefonnummer. Ich schrieb zurück: «Jetzt haben Sie schon zweimal gesagt, dass Sie das Geld überweisen. Ich denke, da ist etwas komisch. Ich habe Ihnen meine Angaben bereits gegeben.»
Sowohl Walker als auch General waren immer äusserst höflich in ihren Schreiben. Walker antwortete: «Vielen Dank für Ihre freundliche Antwort bezüglich Entschädigungsfonds.» Er müsse meinen Check für den Ausgleichsfonds autorisieren, damit er die Million Euro auf mein Konto überweisen könne. Dafür müsse ich eine Gebühr von 350 Euro entrichten. Den auf meinen Namen ausgestellten Check legte er dem E-Mail bei.
Ich fragte, auf welches Konto ich die 350 Euro einzahlen müsse. Walker schickte mir die IBAN eines Kontos bei der italienischen Bank Mooney, das auf eine Joy Aigbomian lautet. Ich schrieb zurück: «Ich finde es etwas merkwürdig, dass ich auf diese kleine italienische Bank einzahlen muss. Stimmt das überhaupt?» Walkers Antwort: «Ja, es stimmt, die anderen beiden Personen haben bezahlt und ihre Entschädigungsgelder erhalten.»
Ich täuschte nach wie vor Zweifel an der Seriosität vor und antwortete: «Man hört ja immer, man soll aufpassen im Internet. Können Sie mir einen Ausweis schicken?»
John Walker antwortete: «Ich habe Ihr E-Mail erhalten, und es ist für mich sehr klar, dass Sie versuchen, mich anhand Ihrer Worte wissen zu lassen, dass Sie an dieser Transaktion zweifeln.» Dem E-Mail hängte er das Bild einer 2021 abgelaufenen kalifornischen Identitätskarte an, ausgestellt auf einen John Walker, unterschrieben allerdings mit einem anderen Namen.
Das gespielte Misstrauen nervt die Betrüger
Ich wies John Walker in meiner Antwort darauf hin, dass die Identitätskarte abgelaufen sei. Er schrieb zurück, dass der Ausweis 2024 ablaufe, und nannte mich «mein lieber Freund». Ich schrieb zurück: «Ja, ich weiss schon, ich sollte den Leuten mehr vertrauen, und Sie sind mir ja sympathisch. Aber ich habe immer noch Zweifel. Haben Sie nicht noch einen Beweis?»
John Walker antwortete: «Ich möchte, dass Sie wissen, dass Ihnen der Bankanwalt und die Versicherungsagentur hier eine gute Garantie dafür geben, dass Sie Ihr Geld sofort überwiesen bekommen, wenn die Autorisierungs- und Bearbeitungsgebühren in Ordnung sind.» Beigelegt war dem E-Mail ein Garantieschreiben einer kalifornischen Versicherungsgesellschaft, auf Deutsch und ausgestellt auf meinen Namen.
Um das Hin und Her zu beenden, schrieb ich Walker, dass mir ein Freund von der Zahlung abgeraten habe. Fast zwei Monate hörte ich nichts mehr von ihm. Vor kurzem kam dann wieder ein E-Mail: «Guten Abend und wie geht es Ihnen heute, wir haben auf Sie gewartet, damit wir die Überweisung abschliessen können.»