Dem Haus von Bruno Wegmüller (Name geändert) in Zuoz GR sieht man schon von weitem an, dass es in die Jahre gekommen ist: An der Fassade zeigen sich Risse, die Fenster sind verwittert. Dach, Wände und Böden sind über 30 Jahre alt und sollten längst ersetzt oder renoviert werden.
Wegmüller wandte sich deshalb an einen Energieberater, weil er nicht nur renovieren, sondern auch etwas Gutes für die Umwelt tun wollte. Der Fachmann studierte Pläne, besichtigte die Liegenschaft und stellte verschiedene Berechnungen an. Seine Erkenntnis: Das Haus verschleudere Energie. Nach einer Totalsanierung könnte Wegmüller jährlich rund 63 000 Kilowattstunden Energie sparen. Dies entspricht 6300 Litern Heizöl pro Jahr. Oder in Franken ausgedrückt: Jahr für Jahr rund 6000 Franken, die der Hauseigentümer heute zu viel für den Einkauf von Heizöl ausgibt.
«Vielen Energieberatern fehlt es an der nötigen Erfahrung»
Doch Bruno Wegmüller wurde stutzig. Denn in der Expertise stand, dass vor allem die nicht isolierten Böden im Haus schuld an der Energieverschwendung seien. Er zeigte den Bericht Christof Meier, Berater beim Hausverein Ostschweiz. Sein Fazit: «In der Praxis fehlt es vielen Energieberatern an der nötigen Erfahrung, um zum Beispiel den Boden- oder Wandaufbau eines Gebäudes richtig beurteilen zu können.» Ruedi Giezendanner von der Beratungsfirma Enora AG in Rapperswil SG hat die Zahlen ebenfalls kritisch unter die Lupe genommen. Sein Fazit über den Bericht ist vernichtend: «Auch wer sich nur halbwegs in die Materie eingearbeitet hat, erkennt sofort, dass das Ergebnis des Berichts nicht plausibel ist.»
Der Grund, so Giezendanner: Im Normalfall gehen Energieverluste vor allem auf das Konto Fassade, Fenster und Dach. Unisolierte, alte Betonböden können zu einer schlechten Energiebilanz beitragen, aber üblicherweise nicht in dem Ausmass, wie im Bericht über das Zuozer Haus behauptet wird. Ein Blick auf die Pläne und eine kurze Rücksprache mit dem Hauseigentümer genügten Giezendanner, um die Ursache des Irrtums zu eruieren: Normalerweise setzt man für die verschiedenen Bauteile wie Dach, Aussenwände, Böden, Fenster usw. sogenannte U-Werte (früher auch K-Werte genannt) ein – ein Mass für die Wärmeverluste eines bestimmten Bauteils bei ganz bestimmten Temperaturunterschieden zwischen innen und aussen. Aus unerfindlichen Gründen hatte der erste Experte für die Böden einen Wert von 2,2 eingesetzt. Da es sich aber um Betonböden mit mindestens 6 Zentimeter Dämmung handelt, wäre ein Wert in der Grössenordnung von 0,5 bis 0,6 angemessen.
Enora-Experte Giezendanner kommentiert: «Besonders bitter wäre es, wenn der Hauseigentümer, gestützt auf das unbrauchbare Gutachten, eine Sanierung in Auftrag gegeben hätte.» Die Sanierung der Böden wäre teuer geworden. Da die Energie in Tat und Wahrheit aber über Fassade und Wände verloren geht, wäre Wegmüller spätestens ein oder zwei Winter später hart auf dem Boden der Realität gelandet.
«In der Branche der Energieberater gibt es viele Quereinsteiger»
Laut Christof Meier handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall: «Unter den Energieberatern tummeln sich zahlreiche Quereinsteiger und etliche schwarze Schafe.» Er empfiehlt, nach Qualifikation, Ausbildung und Referenzen zu fragen. «Auch wer den Titel eines Geak-Experten führt, bringt nicht in jedem Fall die erforderlichen Kenntnisse mit. Der Zugang als Geak-Experte ist zu einfach und wird zu wenig kontrolliert. Es gibt zu viele Trittbrettfahrer.» Geak steht für «Gebäudeenergieausweise der Kantone». Bei der Geak-Zentrale heisst es: «Missbrauch mit einem gewissen Grad an krimineller Energie ist nie hundertprozentig auszuschliessen.» Vor kurzem machte der Geak-Projektleiter Martin Ahrend publik: «Die Arbeitsgruppe Qualitätssicherung beschloss, den Vertrag von 480 Geak-Experten aufzulösen.» Mit dem Logo «Geak-Experte» dürfen neu nur noch 900 Berater werben.
Gebäude-Energieausweis: Auskünfte zur Energieeffizienz auf einen Blick
Der Gebäude-Energieausweis gibt Auskunft, wie gross der Sanierungsbedarf eines Hauses ist.
Die Bezeichnung «Gebäude-Energieausweis der Kantone» (Geak) ist offiziell geschützt. Eingeführt wurde er 2009. Seither sind über 20 000 Geaks ausgestellt worden.
Dabei wird ein Gebäude in eine von sieben Energieklassen eingeteilt: Die Skala reicht von A (grün) bis zu G (rot). Wer zum Beispiel ein Haus kaufen oder mieten will, das nur ein G hat, sollte vorsichtig sein. Dies entspricht etwa dem technischen Stand eines Gebäudes aus den Fünfzigerjahren mit unzureichend isolierten Fenstern und minimaler Wärmedämmung.
Der Geak-Ausweis enthält eine detaillierte Analyse von Gebäudehülle, Fenstern, Heizung, Stromverbrauch und gibt wichtige Tipps zur Optimierung.
Einige Kantone wie etwa Bern kürzen Fördergelder für energieeffizientes Bauen, wenn für das Objekt kein Geak vorliegt. Baselland leistet einen Beitrag an Energieanalysen – unter der Voraussetzung, dass für das Gebäude ein Geak erstellt wurde. Die Informationen im Geak zeigen auch einen allfälligen Sanierungsbedarf auf. Für ein Einfamilienhaus kostet der Ausweis 400 bis 800 Franken, für Mehrfamilienhäuser ist er etwas teurer.
Seit letztem Oktober gibt es auch den Geak plus: Er zeigt zusätzlich Sanierungsvarianten, Kosten und Förderbeiträge auf. Der Richtpreis für diesen Ausweis liegt für ein Einfamilienhaus bei 1300 bis 1800 Franken. Für ein Mehrfamilienhaus kostet er 2000 bis 3500 Franken. Die Berichte werden von zertifizierten Experten verfasst (zu finden auf www. geak.ch).
Tipps: Experte ist nicht immer ein Experte
Unabhängige Fachleute: Wer sein Haus energetisch sanieren will, sollte sich nur unabhängigen Fachleuten anvertrauen. Wenn der «Experte» noch bei einem Fensterbauer oder einer Fassadenfirma angestellt ist, besteht die Gefahr, dass er vor allem seine eigenen Produkte verkaufen will.
Darum sollte man nur Experten beiziehen, die Inhaber eines geschützten Titels sind, etwa als Haustechniker, Ingenieur, Architekt oder Energieberater mit Abschluss einer Fachhochschule. Um einen Bericht erstellen zu können, muss sich der Experte aufgrund der Besichtigung des Gebäudes, der Pläne und der Verbrauchszahlen ein Bild machen. Bei älteren Gebäuden gilt die Faustregel, dass sich mit einer energetischen Sanierung bis zu 60 Prozent Energie sparen lassen.