Der Zahnarzt wohnt in einer Berner Landgemeinde. Seine Bank will ihm ein Finanzprodukt verkaufen, bei dem er praktisch kein Risiko eingehe. Schon beim Namen des Produkts versteht der in Finanzfragen Unerfahrene nur Bahnhof: «5.00% p.a. Multi Barrier Reverse Convertible on Nestlé, Novartis, Roche».
Mit einem Barrier Reverse Convertible – abgekürzt BRC – kauft der Anleger keine Aktien, sondern ein Produkt, das mit den Aktien mehrerer Gesellschaften verknüpft ist (deshalb der Zusatz «multi»). In diesem Fall sind es Nestlé sowie die Pharmatitel Novartis und Roche.
Anlageprodukt BRC: Komplex und für Anleger hochriskant
Der BRC hat eine Laufzeit, im konkreten Fall vom Juni 2017 bis im Juni 2020. Passiert an den Aktienmärkten nichts Aussergewöhnliches, erhält der Anleger am Ende der Laufzeit sein investiertes Kapital zurück plus 5 Prozent Zins pro Jahr. Ein attraktiver Ertrag in Zeiten der Tiefstzinsen.
Jeder BRC hat auch eine sogenannte Barriere. Im vorliegenden Fall liegt sie bei 65 Prozent. Fällt einer der drei Aktienkurse während der Laufzeit auf 65 Prozent seines Anfangswerts oder darunter, gilt ein anderes Rückzahlungsszenario. Das sogenannte Termsheet beschreibt es – für Durchschnittsanleger absolut unverständlich: «Falls ein Barrier Event eingetreten ist und sofern der Endlevel desjenigen Basiswertes mit der schlechtesten Kursentwicklung auf oder unter dem entsprechenden Anfangslevel liegt, erhält der Anleger eine Anzahl (entspricht dem Ausübungsverhältnis) des Basiswertes pro Produkt, welcher die schlechteste Kursentwicklung aufweist.»
Auf Deutsch heisst das: Wenn während der dreijährigen Laufzeit eine der drei Aktien einbricht und damit die definierte Barriere von 65 Prozent berührt, erhält der Anleger nicht das investierte Kapital zurück, sondern Aktien der betreffenden Gesellschaft. Das kann mit einem grösseren Verlust verbunden sein.
Viele Banken bewerben diese Produkte intensiv, obwohl sie komplex und für den Anleger riskant sind. Selbst viele Kantonalbanken, die Raiffeisenbanken oder Postfinance versuchen, den Kunden BRCs ins Depot zu legen. Denn die Margen dieser Anlageprodukte sind ebenso attraktiv wie gut getarnt.
Markus Glauser von der Berner Vermögensverwaltungsfirma Glauser + Partner Vorsorge AG sagt: «Hohe Gebühren lassen sich einfacher durchsetzen, wenn sie in einem intransparenten Finanzprodukt versteckt sind.»
Verkäufer spielen die Risiken herunter
Glauser weist darauf hin, dass BRCs wegen des fixen Zinscoupons und der festen Laufzeit gerne mit Obligationen verglichen würden. Das Risiko gleiche aber demjenigen von Aktien. Bricht der Aktienmarkt ein, steigt die Chance, dass die Barriere berührt und nicht das Kapital zurückbezahlt, sondern Aktien geliefert werden. «Genau dann», sagt Glauser, «wenn Sicherheit am wichtigsten wäre, entpuppt sie sich im Fall von BRCs als Scheinsicherheit.»
Faktisch trage der Anleger das volle Aktienrisiko. Wenn die Aktien dagegen boomen, profitiert die Herausgeberin des strukturierten Produkts. Der Investor erhält zwar den vereinbarten Zins. Von allfälligen Kursgewinnen der Aktien sieht er aber nichts.
Die Verkäufer der Produkte spielen die Risiken herunter. «Praktisch kein Risiko», sagte der Bankangestellte dem Zahnarzt. Das stimmt nicht. Beispiel Novartis: Am 20. Juli 2015 hatte die Aktie einen Wert von Fr. 103.20. In den Folgemonaten sackte der Titel ab – auf 67 Franken am 1. April 2016. Das ist ein Minus von rund 35 Prozent. Beim Produkt, das die Bank dem Zahnarzt verkaufen wollte, hätte dies gereicht, um die Barriere zu berühren.
Das ist kein Einzelfall. Im Mai 2016 brachte die Grossbank UBS einen BRC auf den Markt mit den Basiswerten Credit Suisse, Deutsche Bank und Leonteq, einer Laufzeit von einem Jahr, einer sehr tiefen Barriere von 49 Prozent und einem verlockend hohen Zins von 14,5 Prozent. Der Geldberater der «Schweiz am Sonntag» bewertete das Produkt in seiner Rubrik «Anlage-Tipp» mit der Bestnote 10 von 10 möglichen Punkten. Dann stürzte die Aktie des Finanzdienstleisters Leonteq ab – von 60 Franken auf Fr. 25.55 im März 2017. Damit fiel sie unter die Barriere.
«Besser bedient mit klassischen Aktien- und Obligationenanlagen»
Finanzberater Glauser sagt, dass der Anleger beim Kauf von strukturierten Produkten eine Wette eingehe, wobei die Gegenpartei Profis seien. Es sei wie im Casino: «Gewinne für den Spieler sind zwar durchaus möglich, aber die Spielmodelle sind so angelegt, dass die Rechnung für den Casinobetreiber unter dem Strich aufgeht.» Deshalb folgert Glauser: «Mit klassischen Aktien- und Obligationenanlagen ist man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit langfristig besser bedient.»